Identitätsstifter: Volvo XC90 D4 im Test

Jetzt, wo die Schweden ganz unerwartet früh aus der EM geflogen sind, wird es doch mal Zeit, etwas positives über dieses Land zu schreiben. Oder zumindest über seine Menschen. Wenigstens über seine Autos. Richtig, schwedische Autos. Seit Übernahme durch Geely hat die – mal abgesehen von Koenigsegg – einzig in Schweden verbliebene nennenswerte Automarke eine Wandlung durchgemacht – weg vom klassenlosen, höchst funktionalen und – räusper – etwas biederen Fahrzeug für den Besserverdiener, der von Audi, BMW und Benz nicht viel hält. Hin zum Lifestyle-Objekt aus Schweden, immer noch ziemlich klassenlos, dafür weniger funktional und auch weniger bieder, immer noch mehr für den Besserverdiener, aber Blondie von Nebenan nutzt ihren XC60 jetzt eben zum Kindertransport und „Shoppen“, weil der Volvo ja so „chic“ ist. Nicht, weil er so „sicher“ oder gar „praktisch“ ist.

Volvo XC90 D4

Das hat der Marke viele Blöße eingebracht. Die Öffnung hin zum Lifestylemarkt und weg von den Pragmatikern wurde kritisch beäugt, hat Volvo aber letzten Endes weiter entwickelt, als es mit der ursprünglichen Linie möglich gewesen wäre. Während andere Marken und auch Markeninhalte ohne Rücksicht auf Verluste geschreddert werden – man blicke einmal zur italienischen Konkurrenz von Maserati und Lancia – hat es Volvo geschafft, seine Identität umzuwandeln, ohne sie gänzlich zu verlieren.

Dabei geholfen hat das Flaggschiff XC90, das SUV, das erstmals 2014 in modifizierter Form das Licht der Welt erblickte. Und – jetzt fangen wir auch schon so an – einer der bestaussehendsten Vertreter seiner Klasse ist. Kein unnötiges Bling Bling, das selbst bei den Briten bereits Einzug gehalten hat, sondern schlichtes, aber dennoch aufregendes und nie langweiliges Design, das überall hinpasst und nirgends fehl am Platze wirkt. Doch, typisch Volvo, oder auf welche Marke passen diese Attribute heute sonst noch so perfekt? Eben.

Volvo XC90 D4

So steigt man vorfreudig ein mit dem Wissen, dass es innen ähnlich schön weitergehen wird. Zumindest, wenn man einige Kreuzchen bei der Ausstattungsliste gesetzt hat, da verhält es sich in Schweden nicht anders als in Deutschland. Fein vernähtes Leder, Echtholz und Aluminium schmeicheln dem Auge, zwei große Bildschirme und eine mächtige Mittelkonsole prägen das Bild, das sonst mit relativ wenigen Tasten auskommt. Außer den beiden Blinkerhebeln und einem Satz für Scheibenheizung, Warnblinker und Handschuhfach sowie Start-Stopp-Knopf und der Fahrdynamikregelung gibt es nicht viel, der Rest wird über den Touchscreen gesteuert.

Volvo XC90 D4

Nun sind wir in der Regel keine Fans von reiner Bildschirmbedienung ohne feststehende Tasten. Die Rückmeldung fehlt, damit ist eine „blinde“ Bedienung kaum möglich, auf schlechten Straßen ist eine Bedienung generell nicht machbar. Der Volvo ist da anders. Die Bedienführung ist mit seitwärts- und horizontalem Wischen und Zweifingerzoom mittlerweile tatsächlich als intuitiv anzusehen, zumindest für den, der häufiger mit Smartphones oder Tablets zu tun hat. Die „Knöpfe“ auf dem Touchscreen sind ausreichend groß dimensioniert, sodass eine sehr geringe Gefahr von Vertippern besteht. Die Reaktion auf Befehle gelingt ohne Verzögerung oder Ruckeln, einzig durch die Sprachsteuerung blickten wir ohne Hilfe der Bedienungsanleitung nicht durch. Doch die braucht es auch nicht zwingend.

Volvo XC90 D4

Zusammen mit den feinen Klängen aus dem dazu hübsch anzusehenden Soundsystem von Bowers & Wilkins (im Business-Paket zu 3.950 Euro), das sich sogar auf das Göteborger-Orchester einstimmen lässt, ergibt sich eine Lounge-Atmosphäre im Auto, die man sonst allenfalls im (deutlich teureren) Range Rover erwarten würde. Der XC90 rückt die eigentliche Bestimmung eines Automobils – die aktive und individuelle Fortbewegung – in den Hintergrund. Es ist vielmehr ein Fortbewegtwerden, was sich ausnahmsweise nicht in besonderen Innovationen der Assistenzsysteme ausdrückt: diese sind in Schweden ebenfalls nicht anders als in Deutschland auch. Angefangen bei der Ein- und Ausparkautomatik, die den knapp fünf Meter langen XC90 auch in enge Lücken quer zur Fahrbahn manövriert, über den Stauassistenten bis 40 Km/h bis hin zum Abstandsregeltempomaten samt Spurhalteassistent gibt es hier nicht mehr, als es bei der Konkurrenz auch gibt. Doch im Volvo ist man selbst als erklärter Hasser dieser Auto-autonomen Fortbewegung versucht, genau dies zu zelebrieren. Vielleicht, weil es am großen Touchscreen mehr zum Rumspielen gibt. Vielleicht, weil es in dieser Atmosphäre mehr Spaß macht, denn das tut es wirklich.

So sind wir jetzt ansich schon beim Ende angelangt. Ein luxuriöses SUV mit Platz für sieben, selbst die hintersten Hinterbänkler sitzen noch einigermaßen bequem, toller Audioanlage, Entertainment zum Wohlfühlen, das beinahe von selbst von A nach B fährt. Aber wir wären ja nicht evocars, wenn wir nicht noch ein paar Zeilen zum Antrieb verlieren wollten.

Volvo XC90 D4

Im Testfahrzeug arbeitete der frisch in den XC90 implantierte D4-Dieselmotor, ein Zweiliter mit 190 PS, Vorderradantrieb und Achtgangautomatik. Hä, wie, Vorderradantrieb? In dem Schiff? Gut, wir würden alleine aus Prestigegründen zum Allrad greifen, weil es zu einem solchen Auto gehört wie der Hut zu Queen Elizabeth. Aber wir würden auch zu nem V8 greifen, wenn es ihn denn gäbe. Leider hat Volvo ja sogar den Fünfzylinder beerdigt, wir trauern ihm immer noch hinterher. Doch der kleinste Motor macht seine Sache im schweren SUV ordentlich und man kommt mit ihm zurecht, solange man auf Performance keinen großen Wert legt. Er verbraucht dabei wenig (in unserem Fall im Schnitt 7,7 Liter pro 100 Kilometer) und bringt einen von A nach B – für den Wohlfühlfaktor sind andere Komponenten im Auto zuständig, die ihre Sache dafür umso besser machen.

Die (serienmäßige) Achtgangautomatik gehört dazu, die uns deutlich besser gefiel als im einige Monate zuvor gefahrenen V60 Cross Country. Und auch der Vorderradantrieb reicht für neunzig Prozent aller an das Auto je gestellten Anforderungen aus, denn ins Gelände fährt mit ihm eh keiner und die Jahreszeit Winter ist dank der aktuellen klimatischen Bedingungen ohnehin ersatzlos entfallen.

Volvo XC90 D4

Neben den Assistenzsystemen und mal abgesehen von der Motorisierung, die eben Mittel zum Zweck ist, umzirzt der XC90 das Autofahrerherz. Die vielfach verstellbaren Sportsitze (420 Euro) passen wie angegossen, sind aber durch die weit vorstehenden Wangen anfällig für Einstiegspatina, gerade in der wohnlichen Farbe Amber Braun. Die Lichtausbeute der LED-Scheinwerfer (Licht-Paket: 900 Euro) gehört zu den besten, die es auf dem Markt gibt, die Klimaautomatik mit Vier-Zonen-Regelung arbeitet zugfrei und über das Soundsystem hatten wir ja bereits ausführlich gesprochen. Auch das Head-Up-Display (zusammen mit der 360-Grad-Kamera, Lederpaket und Panoramadach im Xenium-Paket für 4.600 Euro) steht der Konkurrenz nicht nach, ist hochauflösend und zeigt situationsbedingt die wichtigsten Informationen im Sichtfeld an.

Die Konkurrenz ist nun auch das passende Schlusswort. Wir haben selten in ihr so gut gesessen und sind so gut gefahren worden wie im Volvo XC90. Die Motorenauswahl ist mangels Sechs- oder gar Achtzylinder etwas mager, da könnten die Schweden ruhig noch ein wenig nachlegen. Aber das wollen sie ja nicht. Sie zeigen lieber in die Zukunft. Und dafür ist es wichtig, überhaupt zu sein, statt der Vergangenheit hinterherzutrauern.

Technische Daten*

Modell: Volvo XC90 D4
Motor: Vierzylinder-Reihe, Turbo, 1.969 ccm
Leistung: 190 PS (136 kW) bei 4.250 U/min
Drehmoment: 400 Nm ab 1.750 U/min
Antrieb: Vorderradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 5,2 l Diesel/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 9,2 s
Höchstgeschwindigkeit: 205 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,95 m/1,93 m/1,78 m
Gewicht: 2.052 Kg
Grundpreis: 50.100 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 22/26/27

*Herstellerangaben