Wer SUV und gleichzeitig Alfa Romeo mag, hat seit Anfang des Jahres 2017 Gelegenheit, seinen eigenen automobilen Traum zu verwirklichen. Mit dem Stelvio brachten die Italiener nämlich ihren ersten selbstentwickelten Konkurrenten zu Porsche Macan, Mercedes-Benz GLC und Audi Q5 auf den Markt. Und auch wir konnten uns – nach anfänglicher und quasi veranlagter Skepsis – dem italienischen SUV nicht mehr entziehen und baten daher zum Test. Da eine Strecke von mehr als 1.500 Kilometern geplant war, verzichteten wir sogleich auf das Topmodell mit dem Zusatz Quadrifoglio, sondern stiegen eine Variante tiefer ein: Der 280 PS starke Vierzylinder-Benziner würde zur Überquerung der nördlichen Alpenausläufer wohl auch im Stande sein?
Was direkt nach dem Einstieg auffällt: Die Nähe zur Alfa-Limousine Giulia, deren Innenausstattung im Verhältnis eins zu eins übernommen wurde. Die Anordung von Schaltern, der Multimediaeinheit und der Instrumentierung kommt uns also gleich bekannt vor und gefällt mit ordentlichen Materialien wie echten Aluminiumverkleidungen auf der Mittelkonsole und ebenso echtem Leder auf dem Armaturenbrett (1.000 Euro Aufpreis). Wir würden allerdings lieber zu einer hellen Lederinnenausstattung greifen, die ein wenig Farbe in den ansonsten etwas dunklen und unterkühlten Stelvio-Innenraum bringt. Rätsel gibt er derweil keine auf, die iDrive-ähnliche Bedienung von Radio und Navigationssystem funktioniert intuitiv, die Darstellung dürfte allerdings gerne – im Vergleich zu deutschen Mitbewerbern – etwas moderner sein. Gleiches gilt übrigens für die nach wie vor angebotenen Xenon-Scheinwerfer, während es schon längst versprochene LED-Funzeln immer noch nicht für Geld oder gute Worte gibt. Hier haben die Italiener Nachholbedarf.
Für den Antrieb gilt das indes weniger. Der Zweiliter-Vierzylinder samt Zwangsbeatmung leistet besagte 280 PS und 400 Newtonmeter und erfüllt seit September letzten Jahres die Euro 6d-TEMP-Norm (die, wie bei allen Motoren, zu Lasten des CO2-Ausstoßes geht). Gekoppelt wird er stets an eine Achtgang-Automatik aus dem Hause ZF, als Handschalter ist der Stelvio nicht erhältlich. Dafür ist dieser Turbobenziner ebenso stets an den Allradantrieb Q4 gekoppelt, der die Leistung bevorzugt an die Hinterachse leitet.
Die Wirkungsweise des Vierzylinders können wir getrost mit „unauffällig“ beschreiben, hält er sich doch gerade auf der Autobahn gen Süden dezent im Hintergrund. In Kombination mit der Automatik gibt das alles ein harmonisches Bild ab, im Normalmodus wird zügig und ruckfrei hochgeschaltet, bei Bedarf reagiert das Getriebe aber spontan auf Gas- und Schaltbefehle. Weniger dezent fiel der Spritkonsum auf, der selbst unter sparsamer Fahrweise und teilweiser Verwendung des Spritsparmodus’ (der dank seiner Leistungsreduktion wirklich keinen Fahrspaß bereitet) kaum weniger als neun Liter je 100 Kilometer betrug. Im Mittel bewegten wir den Stelvio auf der Langstrecke mit sportlichem Betrieb auf der Landstraße sowie wenig Stadtverkehr mit 9,5 Litern pro 100 Kilometer.
Moment – sportlicher Betrieb? In einem SUV? In der Regel zeichnen sich SUV egal welcher Größe doch gerne dadurch aus, dass sie vieles können, aber nichts richtig. Sie sind weder geländetauglich, noch sind sie sportiv wie ein Sportwagen und so richtig praktisch ist außer ihrer erhöhten Sitzposition eigentlich auch nichts an ihnen. Wobei man festhalten muss: Im Kapitel „Sport“, macht der Alfa Romeo Stelvio einiges ganz richtig.
Da wäre zuerst: Diese Lenkung. Schon in der kleineren Giulia empfanden wir sie als famos und trotz des deutlich höheren Schwerpunkts im Stelvio haben es die Damen und Herren in Turin geschafft, dass dies auch für die des SUV gilt. Die unmittelbare Umsetzung des Lenkbefehls an der Vorderachse vermag so manchen erschrecken, wir empfanden es aufgrund der deutlich höheren Sitzposition zumindest als ungewohnt. Doch nach kurzer Eingewöhnung wollten wir sie nicht mehr missen. Mehr als spontan lenkt die Vorderachse ein, das Auto lässt sich beinahe millimetergenau platzieren, während der Fahrer sogar etwas Feedback in die Fingerspitzen erhält. Trotzdem kommt nicht die befürchtete Nervosität oder gar Hektik auf. Vor allem auf der Autobahn bei höheren Geschwindigkeiten agiert sie deutlich gelassener, ohne aber diesen gewissen Schuss Sportlichkeit vermissen zu lassen. Toll.
Ganz toll ist dabei, dass das auf den Stelvio optimierte Chassis den engagierten Lenker nicht im Regen stehen lässt. Denn das ist – gerade bei den erhöhten Kolossen – keine Selbstverständlichkeit. Selbst unser vor einigen Monaten getestete Porsche Cayenne turbo konnte hier irgendwann keinen Stich mehr landen, schleppt aber auch – das muss man ihm zugute halten – einige Kilos mehr mit sich herum. Der Stelvio vollführt das Kunststück, dass sogar das Chassis der Lenkbewegung unmittelbar folgt, nur bei extremen Differenzen zwischen Eingangs- und Ausgangsgeschwindigkeit von Kurven verspürten wir die natürliche Untersteuertendenz. Ansonsten ist die Folge der perfekten Fahrwerks-Lenkungs-Abstimmung ein nahezu neutrales und mehr als gut beherrschbares Fahrverhalten, das als eines der wenigen im SUV-Bereich tatsächlich Freude macht. Und diese Worte aus unserer Feder wollen etwas heißen! Wir haben da Läuten hören, man solle zu diesem Thema mal den Lamborghini Q8 fahren, der würde das angeblich noch viel besser können.
Ein abschließendes Wort zum Fahrwerk: Unser Testwagen hatte das optionale und 2.600 Euro teure Performance-Paket an Bord, das dem Stelvio sowohl ein adaptives (und verstellbares) Fahrwerk als auch eine Quersperre an der Vorderachse spendiert und unserer Meinung nach eine spürbare Verbesserung für den Fahrer bringt, der es auch mal querdynamisch einigen sportlichen Limousinen zeigen möchte. Die optionale Härteverstellung macht aus dem Stelvio selbst auf der Autobahn keine knüppelharte Kiste, reduziert aber spürbar aufkommende Wankbewegungen trotz bleibendem Restkomfort, dürfte aber für den weniger dynamisch veranlagten Fahrer verzichtbar sein. Die mechanische Quersperre hat zwar keine so spürbare Extremwirkung wie in vielen sportlichen Kompaktwagen, verhilft aber gerade auf schlechten Straßen oder rutschigem Untergrund zu deutlich mehr Traktion an der Vorderachse und somit höherer Agilität.
Macht dies den Stelvio schon zu einem Sportwagen? Nein, ganz sicher nicht. Aber es macht ihn zu einem Gefährt, mit dem man gerne auf Reisen geht. Die komfortablen Sitze mit gutem Seitenhalt tragen ihr übriges dazu bei, auch hinten sitzt man bei Bedarf kommod und kann nicht über mangelnde Beinfreiheit klagen. Naturgemäß ist das Kofferraumvolumen – wie bei allen Autos dieser Klasse – leidlich eingeschränkt, für den Wochentrip zu zweit oder auch zu dritt reicht er jedoch vollkommen aus. Da wäre nur eine Frage offen: Warum nur hat man sich bei Alfa Romeo für diese überflüssigen Endrohrblenden entschieden, die die stummelhaften Spitzen der echten Abgasanlage so schlecht kaschieren?
Fazit
Das war dann allerdings auch der einzige Negativpunkt, der bei unserem Testwagen tatsächlich störend auffiel. Ansonsten absolvierte der Stelvio unseren Trip ins gar nicht so winterliche Luzern mit Bravour und fügte sich dem Schweizer Straßenbild und seinen Tempolimits. Hat er aber unsere Sichtweise aufs SUV verändert? Nein, mit Sicherheit nicht. Er ist dafür nicht so beliebig wie die Derivate von Volkswagen oder Daimler, weshalb wir ihn einem Tiguan oder GLC stets vorziehen würden. Womit wir wieder auf den Anfang dieses Tests zu sprechen kommen wollen: Wer einen Alfa Romeo möchte und mehr Platz braucht als die Giulia bietet, kommt am Stelvio wohl kaum vorbei. Und macht damit keinen schlechten Fang.
Modell: Alfa Romeo Stelvio Super 2.0 16 V AT8-Q4
Motor: Vierzylinder-Reihe, 1.995 ccm
Leistung: 280 PS (200 kW) bei 5.250 U/min
Drehmoment: 400 Nm bei 2.250 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
Verbrauch (WLTP): 7,9 l S 100/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 5,7 s
Höchstgeschwindigkeit: 230 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,69 m/1,90 m/1,65 m
Gewicht: 1.885 Kg
Grundpreis: 50.000 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 17/26/24
*Herstellerangaben