Zuallererst: schon das Kennzeichen des Pressetestwagens schürt bei denjenigen Ehrfurcht, die ein wenig in der Daimler-Historie bewandert sind oder vor nicht allzu langer Zeit das hauseigene Museum in Stuttgart-Bad Cannstatt besucht haben. S-SK weckt Erinnerungen an den legendären Sportwagen W 06 mit Stern aus den Zwanzigern und Dreißigern, dessen Kompressormotor für damalige Verhältnisse wahnwitzige 250 PS leistete. Und SSK stand für: Supersport Kurz – sprich: super sportlich und kurzer Radstand. Womit wir gleich beim Thema wären, denn die S-Klasse, mit der wir für zwei Wochen auf große Deutschland-Tour gehen durften, war die kurze Variante und damit von Natur aus eher für den Selbstfahrer gedacht. Wobei „kurz“ wie beim historischen Kennzeichenvorbild mit 5,11 Metern in der Länge eher relativ zu sehen ist.
Dass Länge auch bei einer kurzen S-Klasse läuft, merkt man schon beim ersten Betrachten. Gerade nach dem jüngst erfolgten Facelift und dazu in Obsidianschwarzmetallic (1.178,10 Euro) hat der große Daimler seine vormals allzu barocke „Eleganz“ abgelegt und kommt jetzt umso staatstragender daher. Anders als bei der ewigen Konkurrenz von BMW und Audi verbindet man den Stern auf der Haube immer noch eher mit der repräsentativen Limousine, daran hat auch Schröder nichts ändern können. Wer mit einer S-Klasse vorfährt, hat die Blicke für sich – dem tut keinen Abbruch, dass C- und E-Klasse rein optisch kaum noch von ihrer deutlich größeren Schwester zu unterscheiden sind.
Wir steigen ein, zunächst einmal vorne links, und erinnern uns: unsere S-Klasse ist ja eine kurze, was vorne recht egal ist. Die Cockpitlandschaft kommt uns vertraut vor, sie wirkt aber mächtiger als in den kleineren Modellen und ist in den Abendstunden effektvoll hinterleuchtet. Der große Widescreen macht immer noch heftig Eindruck. Weiches Nappaleder (nussbraun, 2.261 Euro) wohin wir blicken umgibt uns, die vielfach verstellbaren Memory-Sitze schmiegen sich perfekt an sämtliche Staturen. Auch bei der Verarbeitung gibt sich Daimler keine Blöße, lediglich das Lenkrad könnte für den Anfang etwas weniger mit Tasten überfrachtet sein, die Bedienung hingegen erschließt sich hierüber schnell und intuitiv. Wer sich aber an den Dreh – Drück – Steller heran wagt, dürfte etwas länger brauchen, um mit der recht komplexen Menüstruktur vertraut zu werden. Doch auch hierfür hat Daimler vorgesorgt: sämtliche Fahrzeugfunktionen lassen sich mit einfachen Kommandos über die Spracheingabe bedienen, wobei das System in Bezug auf Verständlich- und Schnelligkeit nicht ganz an die Benchmark BMW herankommt.
Aber jetzt sind wir gespannt auf das nagelneue Sechszylinder – Aggregat, das Mercedes letztes Jahr frisch in die S-Klasse gebracht hat. Unser S 450 setzt auf einen drei Liter großen Reihenmotor mit einem Turbolader und einem elektrischen Zusatzverdichter, der es alleine bereits auf 367 PS bringt und zusätzlich von einem „integrierten Startergenerator“ (kurz: ISG) unterstützt wird, der abermals 22 PS Zusatzleistung bei Kickdown in den Antrieb einspeist. Seine 500 Newtonmeter Drehmoment liegen bereits ab 1600 Umdrehungen/min an. Allradantrieb und Neunstufenautomatik sei Dank soll die S Klasse den Sprint auf 100 Km/h in lediglich 4,9 Sekunden erledigen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 Km/h. Nach dem ersten Starten hätte man diese Sprintwerte dem Motor gar nicht zugetraut: denn im Innenraum vernimmt man kaum mehr als ein Säuseln. Und selbst bei stärkerem Beschleunigen erhebt das Aggregat nur selten seine Stimme. Die Dämmung zum Motorraum und generell nach Außen ist fantastisch, sodass man sich auch bei 200 Km/h mit den Passagieren in der zweiten Sitzreihe im Flüsterton unterhalten kann. Der Weg dorthin gelingt spielerisch und lediglich bei Tempi über 220 muss die Maschine einmal mehr einen kleineren Gang heraussuchen, um souverän auf die Höchstgeschwindigkeit zuzuhalten.
Souverän ist dabei auch das passende Stichwort für die Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung: Ersterem gelingt der Spagat zwischen Sportlichkeit und Komfort nahezu perfekt. Der Komfortmodus des einstellbaren Luftfahrwerks könnte für unseren Geschmack zwar noch ein kleines bisschen weicher auf schlechte Fahrbahnen reagieren, der Sportmodus hingegen bietet selbst für die in einer S-Klasse eher ungewöhnliche Hatz auf der Landstraße die richtige Konfiguration. Äußerst straff und satt liegt der schwere Wagen auf der Straße. Hierzu passt die rückmeldungsfreudige Lenkung, die feinfühlig aber nicht hektisch auf Befehle reagiert und der Vorderachse eine Leichtigkeit verleiht, die wir von einer S-Klasse nicht erwartet hätten. So lässt sich der Daimler bei Bedarf und mit Spaß über die Landstraße prügeln, auch wenn sich das ja ansich nicht ziehmt. Aber wenn’s dem Herrn Minister pressiert, was will man machen?
Der hätte allerdings sicherlich eine Langversion bestellt. Denn auch wenn man auf den hinteren (ebenfalls verstellbaren, 1.856,40 Euro) Sitzen mit weichen Beltbags (702,10 Euro) und noch weicheren Kopfstützen vorzüglich sitzt, so ist der verfügbare Platz für vier Personen etwas knapp und man wünscht sich derweil auch vorne ab und an mehr Bewegungsfreiheit für die über 1,90 Meter langen Gliedmaßen. Selbiges gilt auch für den verfügbaren Kofferraum – für die paarweise Reise absolut ausreichend, wird es für mehr als zwei Personen manchmal schon recht eng. Was dennoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die S-Klasse mit ihrem neuen Reihensechsylinder ein wahrhaft fantastisches Automobil für die lange Reise ist.
Denn dann verwöhnt das großartige Soundsystem aus dem Hause Burmester (mindestens 1.309 Euro) die Ohren und das Sehorgan wird bei langen Nachtetappen von den Multibeam-LED-Scheinwerfern (1.999,20 Euro) sowie der im Winter mehr als angenehmen Magic Vision Control (464,10 Euro, hierbei wird Scheibenreiniger direkt über die Wischerarme vor die Wischerblätter gesprüht) entlastet. Und auch der Verbrauch des neuen Sternemotors ist über jeden Zweifel erhaben: mit vollgepacktem Auto und einigen schnellen Autobahnetappen verbrauchten wir im Schnitt neun Liter Super auf 100 Kilometer, wer es häufiger krachen lässt wird mit Werten um 11 Liter belohnt, es können aber auch acht Liter werden. Großartige Werte für den Sechszylinder, dessen Generator nur unterstützend wirkt, aber keine rein elektrische Fahrt erlaubt.
Fazit
Die Überschrift deutet es ja bereits an: mit der aktuellen S-Klasse holt Daimler immer noch die Sterne vom Himmel. Sie ist vor allem mit Allrad und dessen überlegener Traktion ein Alleskönner für sämtliche Lebenslagen mit einem tollen neuen Motor, der einen Achtzylinder nicht vermissen lässt. Der Fahrkomfort ist über alle Zweifel erhaben, die technischen Details (wie beispielsweise der Nachtsichtassistent, 2.618 Euro) so stark, dass man in ihnen die jahrelange Erfahrung ihrer Entwickler spürt. Die Aufpreisgestaltung könnte für unseren Geschmack ab und zu etwas weniger kleinlich sein – dass Digitalradio (392,70 Euro) oder Einparkhilfe (mindestens 1.344,70 Euro) in einem Auto mit rund 100.000 Euro Einstiegspreis kostenpflichtig sein müssen, erschließt sich dem gemeinen Betrachter nicht immer. Und auch das Comand-System ist nicht mehr auf dem neuesten Stand, wobei dies mit der Einführung von MBUX (in der neuen A-Klasse) ja nun schnell geklärt werden dürfte. „Das Beste oder nichts“ ist wohl bei keinem anderen Auto aus der Modellpalette so sehr Programm wie bei der S-Klasse.
Modell: Mercedes-Benz S 450 4Matic
Motor: Sechszylinder-Reihe, 2.987 ccm
Leistung: 367 + 22 PS (270 + 16 kW) zwischen 5.500 und 6.100 U/min
Drehmoment: 500 Nm zwischen 1.260 bis 4.000 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Neungang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 7,0 l S 100/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,9 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 5,11 m/1,90 m/1,50 m
Gewicht: 2.100 Kg
Grundpreis: 97.014,75 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 22/30/31
*Herstellerangaben
Bilder: Maximilian Planker, Thomas Vogelhuber, Daimler