Meine ehrliche Meinung? Dreiräder vereinen doch exakt die Nachteile von Zwei- und Vierrädern: breit wie ein Auto muss man sich im Straßenverkehr immer hinten anstellen, ist aber dem Wetter genauso ausgesetzt, wie auf einem Motorrad. Und fahrdynamisch? Youtube ist voll umkippenden Reliant Robins und – bevor es Quads gab – hat Honda in den 80ern ein Trike ins Gelände geschickt, das sich schnell der Ruf erfuhr, so gefährlich zu sein, dass die Japaner das Ding wieder vom Markt nahmen. Dreirad und wilde Kurvengaudi schließen sich also aus. Punkt.
Ok, ich höre schon den Einwand: die Teile hatten zwei Räder hinten und eins vorne, bei dem hier präsentierten Can-Am ist es doch exakt umgekehrt. Stimmt, aber auch der konzeptionelle Urahn, der Morgan Threewheeler galt jetzt nicht gerade als Ausbund der Fahrdynamik, geschweige denn als einfach zu fahren. Und wer ist überhaupt Can-Am? Die Antwort lautet: eine Marke des Kanadischen Unternehmens BRP (Bombardier Recreational Products). Kennen Sie nicht? Oh doch, denn wer lag noch nie am Strand und dachte sich beim Blick aufs Meer, dass er gerne mal so Sea-Doo Jetski fahren würde? Oder im Winterurlaub auf einem Ski-Doo oder Lynx Motorschlitten mal ordentlich Gas geben? Gehört alles zu BRP! Dazu noch Evinrude (Außenbord-Motoren), Rotax-Motoren, die erfolgreich in etlichen Motorrädern ihren Dienst verrichten, und noch vieles mehr, was vor allen Dingen eins machen soll: motorisierten Spaß in jedem Terrain.
Zehn Jahre ist BRP jetzt mit Can-Am Dreirädern am Markt, doch jetzt wollen die Kanadier mit der zweiten Baureihe in der Nische mächtig aufdrehen und den Absatz verdoppeln. Daher lautet auch der Anspruch des Rykers: „Disrupting open road riding“. Kernige Ansage, hoch gestecktes Ziel. Doch wie soll das klappen? Im Vergleich zu seinem großen Bruder – dem Spyder – ist der Ryker, leichter, hat die Technik entschlackt, die Bedienung vereinfacht, das Design wurde geschärft und die Individualisierungsmöglichkeiten wurden erhöht. Das Ergebnis: für 9.799 Euro bekommt man ein Dreirad mit einem 600 ccm-Zweizylinder (natürlich von Rotax), der seine 50 PS über ein CVT Getriebe via Kardanwelle an das Hinterrad abgibt. Das sollte eigentlich reichen, um 270 kg zügig in Bewegung zu setzen. Sollte? Tja, man ließ mich die Einstiegsvariante nicht fahren, sondern schob mir das Topmodell unter den Allerwertesten – die sogenannte Rally Edition mit 900 ccm und drei Zylindern. Das hat natürlich seinen Preis: Mindestens 12.699 Euro werden für die Rally Edition fällig. Aber dafür bekommt man auch 82 PS, ein feines KYB Fahrwerk, dessen Dämpfer einstellbar sind, ein bisschen mehr Schminke und stabilere Felgen mit All-Terrain Reifen. Der Namenszusatz ist nämlich Programm und damit komme ich nun endlich auch zu den Fahreindrücken, die ich beim Event zur Markteinführung des Can-Am Ryker sammeln durfte.
Doch halt, wie fährt man eigentlich so einen Ryker? Am Anfang vor allen Dingen: ungelenk. Zu ungewohnt die Bewegungsabläufe, zu wenig hat das Lenken und Bremsen etwas mit Motorradfahren zu tun. Vom Autofahren ganz zu schweigen. Wobei? Verzögern tut man einen Ryker tatsächlich auch mit einem Pedal unter dem rechten Fuß, doch genau das irritiert am Anfang kolossal, wenn man schon einmal irgendein Zweirad bewegt hat: An der Lenkerstange befinden sich einfach keine Bremsgriffe! Man muss sich vor der ersten Ausfahrt also neu kalibrieren. Dazu gehört auch, dass man sich zwar ähnlich wie bei einem Zweirad in die Kurve hinein lehnt, den Lenkimpuls aber durch leichten Druck nach vorne an der Kurvenaußenseite des Lenkers auslöst. Klingt komisch, ist aber so und man gewöhnt sich auch schnell daran. Das Automatikgetriebe erleichtert den Vorwärtsdrang zusätzlich: kein Kuppeln, kein Schalten, einfach an der Rolle ziehen und ab dafür!
Trotzdem ist das Fahren kein Kinderspiel. Die 1,5 Meter breite Vorderachse will schon beobachtet sein, damit man nicht ungewollt Kurven cuttet oder am Gegenverkehr ein Rad verliert. Zu leicht vergisst man, dass es sich eben nicht um ein Einspurfahrzeug handelt.
Und wie fährt der Ryker jetzt? Auf Asphalt im Portugiesischen Hinterland durchaus manierlich. Man fühlt sich in der Regel deutlich schneller, als man ist. Meint der Ryker aber, man ist beim Kurvenwedeln doch zu schnell, holt einen das serienmäßige ESP sanft aber bestimmt wieder auf den Pfad der Tugend zurück. Das wirkt alles schon sehr sicherheitsbetont, macht aber durchaus bei einer Tagestour Laune. Es dürfen eben nur keine lästigen Zweispurfahrzeuge vor einem herumdümpeln. Denn beim Überholen steht sich der Ryker nicht nur mit seiner Breite selbst im Weg, sondern auch mit seinem Antriebskonzept. Bei gemäßigtem Landstraßentempo lässt das CVT Getriebe den Dreizylinder einfach nicht schnell genug in den Drehzahlbereich drehen, wo er richtig Bums hat – bei rund 6.500 U/min. So verhungert man im mittleren Drehzahlbereich ein wenig, schert wieder ein und flucht innerlich, dass das mit einem gleichstarken Mopped nicht passiert wäre. Doch den Ryker dafür als undynamisch abzuwatschen wäre jetzt zu hart, denn da gibt es ja noch den Rally Modus, den man im Cockpit per Knopfdruck aktivieren kann.
Und genau da beginnt der Spaß! Der Ryker liebt unbefestigte Straßen, wie sie es speziell in Südeuropa noch zu Hauf gibt, Bis 50 km/h lässt die Traktionskontrolle in Zusammenarbeit mit dem ESP dann nämlich phänomenale Driftwinkel zu, die ganz sanft bei Übermut wieder eingefangen werden. Das Fahrwerkssetup harmoniert wunderbar mit dem ABS. Etwa dann, wenn man über kurze Bodenwellen die nächste Kurve anbremsen will. Aber hier spielt der reine Speed sowieso kein Rolle, sondern der Staub auf Deinen Zähnen. Wie der da hinkommt? Vom Grinsen, wenn man leicht die Bremse drückt und Vollgas gibt, bis man mit viel Schlupf eine riesige Staubwolke um sich aufbaut und hinter sich herzieht. Eat my dust!
Und genau mit diesem einfach kontrollierbaren Fahrspaß will Can-Am die Frauen und Männer um die 30 in ihre Showrooms locken. Angesprochen werden die, denen ein kleiner Roadster zu normal ist, aber der Erwerb eines Motorradführerscheins zu mühsam erscheint. Denn ja, die Pkw Fahrerlaubnis reicht für den Ryker komplett aus. Das Konzept des Rykers könnte also durchaus zum gewünschten Verkaufserfolg führen. Denn eins ist auch klar: mit einem Ryker zieht man immer und überall die Blicke auf sich. Schade nur, dass es in Deutschland so wenige befahrbare Schotterwege gibt, denn dann würde ich tatsächlich nach einer Lücke in meiner Garage für den Ryker suchen. Von meiner Meinung, dass man mit Dreirädern keinen Spaß haben kann, bin ich nach zwei Tagen an der Portugiesischen Algarve jedenfalls doch etwas abgerückt.