Feuer und Seide. So lautete der Titel des Prospekts über den Mercedes-Benz 500 E im Vorstellungsjahr 1990 und irgendwie scheint das nicht nur auf die Über-Klasse aus den Neunzigern zuzutreffen, sondern auch auf das gesamte Trio, das sich eines Nachmittags in einem Frankfurter Hinterhof zum Generationentreffen verabredet hat. 280 E W123, besagter 500 E der Baureihe W124 und der neueste Vertreter der E-Klasse, der AMG E 43 W213; sie alle haben eines gemein, waren für eine gewisse Zeit die stärkste Ausbaustufe der neuen Mittelklasse-Limo, bis AMG eine noch stärkere präsentierte. Klingt konstruiert, ist es auch, aber es war einer der Gründe, warum wir eben nicht das Allrad-Drift-V8-Monster E 63 S zu diesem Treffen baten.
Fangen wir gerechterweise beim Ältesten an: dem 280 E W123. Immerhin schon 34 Jahre hat unser Exemplar auf dem classicweißen (737) Lack, doch er trägt sie würdevoll. Beim ersten Anschauen fragt sich der jüngere Betrachter zwar schon, wie es Mercedes mit dieser doch eher barocken Optik schaffen konnte, den 280er als „Sportlimousine“ neben dem fahraktiven 5er BMW anzubieten: ein Eindruck, der sich beim Entern des Interieurs mit seinen sesselartigen Sitzen samt Federkern und riesigem Lenkrad nicht unbedingt ändert. Doch im W123 schlummern echte Rallyegene: der hellwache 2,8-Liter Reihensechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen reagiert blitzschnell auf Gasbefehle, giert nach Drehzahl, kommt so richtig in Fahrt erst bei deutlich über 4.000 Umdrehungen pro Minute und scheint seinen Insassen mit sportlichem Timbre zuzurufen, dass er vielleicht ein altes Eisen ist, doch noch lange nicht zurück in die Box muss.
Da zeigt der 500 E trotz dicker Backen ein wahrhaft gelasseneres Gemüt. Im Stadtverkehr pendelt sich der Fünfliter bei knapp über Leerlaufdrehzahl ein, schöpft aus seinem beinahe unermesslichen Drehmomentvorrat, indem er die vierte und letzte Fahrstufe seiner Automatik extrem lange hält. Der in Kooperation mit Porsche in nur knapp über 10.000 Exemplaren gebaute 500 E muss nichts mehr beweisen. Er ist bereits einer der unangefochtenen All-time-greats im Sternenhimmel.
Erst auf der Autobahn will es der V8 noch einmal wissen, scheint es: hier kommt dem außerordentlichen Sprintvermögen, das selbst heute noch nicht als langsam bezeichnet werden kann, die extrem kurze Übersetzung zugute: und sorgt auch bei Tempi über 200 Km/h für etwas ungläubige Blicke in den Rückspiegel von so manchem Turbodieselfahrer. Währenddessen ist ihm der E 43 jedoch längst enteilt: 520 Newtonmeter, 401 PS und nicht zuletzt neun Gänge stellen nicht nur Platz Eins beim Autoquartett sicher, die rund dreißig Jahre Entwicklungsvorsprung machen sich auch in fast jeder Ritze der aktuellen E-Klasse bemerkbar – es wäre auch schlimm, wenn es anders wäre. Und da ist es nicht einmal der Hightech-Innenraum mit seinen großformatigen Displays ohne jede Analoganzeige (die sich, was ein verspieltes Detail, im Stile der AMG-Armaturen der 70er Jahre präsentieren), sondern vielmehr das Fahrverhalten ansich.
Denn wer auch immer dem 43er sein AMG-Signet abspricht, weil er zum Beispiel keinen Motor nach dem „One-man-one-engine“-Prinzip unter der Haube trägt, der ist den E 43 noch nicht gefahren. Als es von der Autobahn runter geht und die Alt-Benze weit entfernt im Rückspiegel schon in der ersten Kurve ins Rudern kommen, zeigt der AMG seine Herkunft: ein messerscharfes, präzises Einlenken verzückt den Fahrer, die Rückmeldung ist für elektromechanische Verhältnisse auf hohem Niveau und bleibt das auch mit steigendem Lenkwinkel. Doch noch überraschender ist die Straßenlage: wer aus dem 500 E steigt, dürfte sich bei der Fahrt im E 43 verwundert die Augen reiben: das soll ein und dieselbe Fahrzeugklasse sein?
Der E 43 ist rein subjektiv nämlich viel näher an der kompakteren C-Klasse, als es seine üppigen Ausmaße vermuten lassen. Fein neutral und perfekt ausbalanciert, wie das sprichwörtliche „Brett“ geht der AMG mit dem serienmäßigen Kühlergrill im „Diamant-Design“ ums Eck, wirft die schweren Pfunde ab, als wären sie nie da gewesen, vermittelt durch den (heckbetonten) Allradantrieb gleichzeitig so viel Vertrauen, dass man es allzu gerne fliegen lässt.
Auch der Dreiliter-Biturbo fügt sich mehr als ordentlich ins Bild: das Drehmoment liegt so früh an, dass man auch im hohen Gang bereits ausreichende Beschleunigungswerte erreicht, doch richtig Freude kommt erst oberhalb von 3.000 Umdrehungen auf. Da hebt der V6 seine Stimme, es ist eine schöne Stimme, ein fein modulierter und klassischer Sechszylinder-Sound, man fühlt sich etwas an den ersten „echten“ AMG, den C 36, erinnert. Die Leistung kommt dabei nie überfallartig, sondern fein portioniert, man kann sie hemmungslos abrufen, ohne sich sofort im nicht mehr legalen Bereich zu bewegen. Auf gewisse Art und Weise erdet der E 43, setzt einen positiven Gegenpunkt zu den Ü-600-PS-Kandidaten, überfordert nicht, sondern fordert noch einen Fahrer, der mitdenkt.
Mitdenken erfordert auch die Neungang-Automatik 9G-Tronic, mit der wir nicht hundertprozentig glücklich waren. Im Sport– oder Sport Plus-Modus hielt sie die Gänge unnötig lang, sodass man sich zwangsläufig im manuellen Modus wiederfand oder aber, falls man die sportliche Abstimmung von Motor und Fahrwerk favorisierte, über das Individual-Menü das Getriebe stets auf Comfort beließ. Dort schaltete das Getriebe wie man das von Mercedes gewohnt ist, früh im hohen Gang und dennoch ausreichend fix in der Reaktion auf Gasbefehle. Zumindest bei zügigem Fahren sollte man jedoch besser manuell eingreifen, was dank des guten Druckpunktes der Schaltwippen und der schnellen Umsetzung des Schaltbefehls samt Zwischengas beim Runterschalten ohnehin mehr Spaß macht.
Doch wo Licht ist, fanden wir auch ein wenig Schatten: das schön anzusehende Interieur zeigte im Detail leichte Schwächen – so wackelte im Testwagen die Klappe des großen Fachs in der Mittelkonsole, diese ist zu allem Überfluss stets in mehr als kratzempfindlichen Hochglanz-Schwarz ausgeführt. Vermeiden kann man das nur mit der Wahl von Carbon-Interieurleisten oder von der Mittelkonsole „in Glasfaser silber matt“ (1.130,50 Euro). Unser E 43 hatte Zierleisten in „Metallstruktur“ an Bord (535,50 Euro), die vor allem in Verbindung mit dem fein klingenden Burmester-Soundsystem (1.011,50 Euro) etwas arg billig ausschauten. Und auch dass es als Standardbezug für ein Auto der 75.000 Euro-Klasse lediglich Kunstleder gibt, dürfte die wenigsten Kunden überzeugen.
Fazit
Der E 43 ist die gekonnte Fortentwicklung der sportlichen E-Klasse. Wer sich von den Schwächen im Detail, von denen überdies auch seine Mitbewerber nicht frei sind, nicht schrecken lässt, bekommt eines der fahraktivsten Fahrzeuge seiner Klasse, das zudem mit allem aufwartet, was man von einem Daily erwarten kann: Allradantrieb, mehr als ordentliche Platzverhältnisse und ein Verbrauch von durchschnittlich unter 10 Litern runden das Paket gekonnt ab. Feuer und Seide, es trifft schließlich nicht nur auf den 500 E zu.
Modell: Mercedes-AMG E 43 4Matic
Motor: Sechszylinder-V, Biturbo, 2.996 ccm
Leistung: 401 PS (295 kW) bei 6.100 U/min
Drehmoment: 520 Nm zwischen 2.500 und 5.000 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Neungang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 8,4 l SP/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,6 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,92 m/1,85 m/1,46 m
Gewicht: 1.720 Kg
Grundpreis: 75.386,50 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 19/27/30
Modell: Mercedes-Benz 500 E
Motor: Achtzylinder-V, 4.973 ccm
Leistung: 326 PS (240 kW) bei 5.700 U/min
Drehmoment: 480 Nm bei 3.900 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, Viergang-Automatikgetriebe
Verbrauch: 13,5 l S/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 6,1 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,65 m/1,80 m/1,43 m
Gewicht: 1.710 Kg
Grundpreis: 134.520 DM (1991)
Typklassen (HP/VK/TK): 14/28/31
Modell: Mercedes-Benz 280 E
Motor: Sechszylinder-Reihe, 2.746 ccm
Leistung: 185 PS (136 kW) bei 5.800 U/min
Drehmoment: 240 Nm bei 4.500 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, Viergang-Automatikgetriebe
Verbrauch: 11,4 l SP/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 9,6 s
Höchstgeschwindigkeit: 200 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,73 m/1,79 m/1,44 m
Gewicht: 1.475 Kg
Grundpreis: 26.895 DM (1976)
Typklassen (HP/VK/TK): 10/21/17
*Herstellerangaben
Fotos: Thomas Vogelhuber für Evocars