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Das rote Dach: Mercedes-AMG C 63 S Cabriolet im Test

Irgendwie ist AMG nicht ganz bei Verstand. Im positiven Sinne natürlich. Da baut der Stuttgarter-Mutterkonzern nach Jahren der Abstinenz das erste richtige Cabriolet der C-Klasse und in Affalterbach hat man nichts besseres zu tun, als erstmal den Vierliter-V8 Biturbo unter die Haube zu dengeln. Weil’s gerade passt und Spaß macht. 510 PS und 700 Newtonmeter in einem offenen Auto, das noch vor kurzer Zeit der sogenannten „unteren Mittelklasse“ zugeordnet wurde: das macht sonst keiner. Audi setzt die Grenze aktuell bei 354 PS mit dem S5 Cabrio und selbst wenn da noch ein RS5 folgen sollte, käme der nicht hinterher. Im anderen bayerischen Motorenwerk versucht man es mit 431 PS im M4 Cabrio und geht gnadenlos unter. Nein, an Mercedes-AMG kommt weiterhin nichts heran, wenn es um viel Leistung in möglichst kleinen Autos geht.

Dabei braucht man heutzutage auch einfach nicht mehr als eine C-Klasse. Die Platzverhältnisse auf den vorderen beiden Plätzen stimmen schonmal und hinten nimmt man im Cabriolet höchstens im Bedarfsfall jemanden mit, der sich dann zumindest über orkanartige Böen rund ums Haupthaar beschweren kann, aber nicht über mangelnde Knie- respektive Beinfreiheit. Ebenso wirken Verarbeitungsqualität und die Auswahl der Materialien hochwertiger als in der größeren E-Klasse. Und zuletzt machen die Abmessungen und der Wendekreis des V8-Cabrios im Alltagsbetrieb deutlich, dass man es beim C 63 S nicht mit einer schwer zu händelnden Diva zu tun hat. Wir würden allerdings auf die AMG Performance-Sitze zu 2.320,50 Euro verzichten. Zwar bieten sie in allen Lebenslagen perfekten Seitenhalt, doch waren sie uns auf Dauer zu hart gepolstert und die hohen Seitenwangen erschwerten das Einsteigen. Ferner war die Verstellung der überaus kräftigen Lordose nur mit Mühe oder besser bei geöffneter Tür zu erreichen. Ein wenig Kritik verträgt auch das Rotkäppchen in Form des Stoffverdecks, das bei langsamer Fahrt über schlechte Straßen leichte Klapper- und Knarzgeräusche entwickelte und ferner stets vor dem Öffnen den Gang zum Kofferraum erforderte, um die Klappe der Verdeckabdeckung zu öffnen. Eine solche Aufgabe sollte doch im Jahr 2017 von einer Hand voll Sensoren erledigt werden, oder sind wir etwa zu verwöhnt?

Doch genug der Kritik, das alles tat dem Erlebnis „C 63 S Cabriolet“ nämlich nur wenig bis keinen Abbruch. Denn wenn der kräftige Vierliter am frühen Morgen über die optionale (und sehr empfehlenswerte) AMG-Performance Abgasanlage (1.190 Euro) losbollert, zaubert das noch jedem kleinen Benzinfanatiker ein Lächeln ins Gesicht. Der Klang erinnert stark an die verflossenen 6.3er-Sauger und lässt das Hubraumdefizit schnell vergessen machen. Und auch seine Gasannahme ist für einen Nicht-Sauger überzeugend digital und trotzdem ordentlich dosierbar, die Drehfreude bis an die Siebentausendermarke tatsächlich saugerähnlich, der Sound – ach ja, da sprachen wir ja schon drüber. Ein großer Motor im kleinen Auto ist doch immer wieder aufs Neue faszinierend.

Wobei – klein? Dieses Attribut ist zumindest bei einem Gewicht von über 1,9 Tonnen ansich nicht mehr angemessen, doch man sollte über den AMG C 63 S nicht vorschnell urteilen. Schon gar nicht, wenn man lediglich das Datenblatt studiert hat. Denn wenn man die Fuhre nach dem fixen Sprint auf 100 Km/h innert 4,1 Sekunden in die erste Kurve wirft, würde man das Gewicht auf maximal 1,6 Tonnen taxieren, so leichtfüßig lenkt das Cabrio ein. Die Lenkung arbeitet dabei auf sehr hohem Niveau, bietet gute Rückmeldung und ist weder zu leicht-, noch zu schwergängig. Lediglich um die Mittellage hätten wir uns ein gefühlvolleres Ansprechen gewünscht, doch trotzdem lässt sich der AMG-Benz sehr genau positionieren und über Landstraßen scheuchen – stets untermalt von der wunderbar-satten V8-Klangkulisse, wir können es nur noch einmal bekräftigen.

Erst bei schneller Kurvenfahrt muss das Fahrwerk dem hohen Gewicht Tribut zollen. Zwar geht es damit immer noch deutlich souveräner um als bei manch anderem vermeintlichen „Sportwagen“, doch zumindest an der dann aufkommenden Seitenneigung und der Untersteuertendenz merkt der Fahrer, dass es langsam genug ist. Oder: dass langsamer auch reicht. Denn Cruisen gelingt im 510 PS-Stern ebenfalls aufs Vorzüglichste. Die Seitenscheiben und die – unserer Ansicht nach recht nutzlose und hinten zudem wackelige – Aircap (821,10 Euro) heruntergefahren, Motor, Getriebe und Fahrwerk auf Comfort gestellt, den passenden Soundtrack im vorzüglichen Comand-System gefunden und den Sommer genießen. Kann es etwas schöneres geben?

Nein, kann es nicht, und doch dürfte sich der geneigte Leser fragen, warum es dann ausgerechnet der 63er, zusätzlich noch als „S“ sein muss. Und klar „muss“ er es nicht sein, natürlich lässt sich die Landschaft auch im 200er C erkunden, doch wenn man so weit angelangt ist, muss man sich auch fragen lassen, ob es denn überhaupt eine C-Klasse oder gar ein Stern sein muss. Der C 63 S ist ein Auto für Genießer, für Menschen, die sich vom Mainstream abheben wollen, für Menschen, die auch in einem C-Cabrio die AMG-Madness erleben wollen. Das können sie damit. Und wie.

Man muss sich – wenn man wirklich zügig unterwegs sein möchte – allerdings ein wenig in die verschiedenen Fahrmodi einarbeiten, um eine für sich passende Einstellung zu finden. Denn ein Problem – und das sagen wir regelmäßig bei Mercedes-AMG – liegt in der Koppelung von Motor- und Getriebesteuerung. Stellt man den „Antrieb“ auf Race, in dem die Gasannahme und Sound am schärfsten sind und somit am meisten Spaß machen, fährt auch das Siebengang-Sportshift-Getriebe im Race-Modus. Schaltvorgänge finden sodann auch beim normalen Anfahren von der städtischen Ampel andauernd erst oberhalb von 3.000 Umdrehungen pro Minute statt. Für den Dauerbetrieb in „Race“ sollte deshalb das Getriebe im sehr guten „Manuell“-Modus über die beiden Schaltwippen genutzt werden. Lediglich im Comfort-Modus stellte sich das Schaltverhalten ein, wie man es von Mercedes-Benz gewohnt ist: verschliffene, ruhige und frühe Schaltvorgänge, wie in der guten alten Zeit eben. Doch dann passten uns Sound und Gasannahme eben nicht mehr so ganz.

Unbrauchbar für den Alltag waren hingegen sämtliche Fahrwerkseinstellungen außerhalb von Comfort. Möglicherweise lag das auch an den harten – Sie erinnern sich – Performance-Sitzen, doch schon im normalen Betrieb erschien uns das standardmäßige Setting der Fahrwerksdämpfer als „gerade so tauglich“. Härter sollte es auf keinen Fall sein und wer es doch noch straffer mag, kann das über den Fahrdynamikschalter anwählen. Auf allen normalen Fahrbahnbelägen, die auch gerne mit der ein oder anderen Unebenheit gespickt sind, ist das aber nichts. Vielleicht auf der Grand Prix-Strecke des Nürburgrings, aber wer fährt dort schon mit einem C-Klasse Cabrio?

Fazit
Diese Frage könnte man sich in Bezug auf das Mercedes-AMG C 63 S Cabrio generell stellen – was keinesfalls despektierlich gemeint ist. Allerdings: das Preisschild unseres überaus gut ausgestatteten Testwagens verzeichnete – inklusive der sehr gut dosierbaren und auch ansonsten perfekten – Keramikbremsanlage (4.998 Euro) über 130.000 Euro. Da mussten auch wir erstmal schlucken. Denn selbst wenn der V8 alles kann, was ihn zum Alltagsbetrieb prädestiniert (auch einen recht geringen Verbrauch von durchschnittlich 12,3 Litern pro 100 Kilometer maßen wir, lagen aber auch mal bei glatt 10), wird er dennoch ein Exot auf deutschen Straßen bleiben. Weil keiner ernsthaft ein Cabriolet braucht. Weil keiner ernsthaft 510 PS braucht. Weil keiner einen V8-Biturbo im Cabriolet braucht. Weil leider zu wenige Menschen so herrlich bekloppt sind, wie die Jungs von AMG.

Galerie
Technische Daten*

Modell: Mercedes-AMG C 63 S Cabriolet
Motor: Achtzylinder-V, Bi-Turbo, 3.982 ccm
Leistung: 510 PS (375 kW) zwischen 5.500 und 6.250 U/min
Drehmoment: 700 Nm zwischen 1.750 und 4.500 U/min
Antrieb: Hinterradantrieb, Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe
Verbrauch (ECE): 8,9 l SP 100/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,1 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h (280 Km/h mit AMG Driver’s Package)
Abmessungen (L/B/H): 4,69 m/1,81 m/1,41 m
Gewicht: 1.925 Kg
Grundpreis: 92.284,50 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 16/30/29

*Herstellerangaben