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Fire and ice: Der VW Golf R im Test

Ich erinnere noch gut die Zeit, als der Golf VII R präsentiert wurde. Im Jahr 2013 hatte man sich schon lange an Vierzylinder im Golf-Topmodell gewöhnt, der Allradantrieb 4Motion war sogar seit Generation Vier stets vertreten. Doch die Zahl 300 in der Kategorie „Leistung (kw/PS)“ war eine magische. Eine Zahl, die nie zuvor in das Datenblatt eines Seriengolfs eingetragen wurde. Und eine Zahl, an der vor immerhin sechs Jahren auch die meisten anderen selbsternannten „Hot Hatches“ zu knabbern hatten. 300 PS, das hieß damals noch was. Vor allem in der Golfklasse.

Natürlich gab es den Audi RS3 mit damals 340 PS, natürlich gab es auch schon den A 45 AMG mit seinerzeit 360 PS. Doch der Golf R war zur Vorstellung das Maß der Dinge. Alleine schon aus dem einfachen Grund: Es war ein Golf. Mit 300 PS, Allradantrieb und allem nötigen Komfort. Mehr Auto brauchte kein Mensch.


Und heute? Heute setzt Du Dich rein in dieses Automobil, das aus- und gereifter kaum sein könnte, trittst das rechte Pedal durch, schnalzt in Vierkommasieben auf Hundert und reagierst mit wenig mehr als einem Schulterzucken. Weil Du es gewöhnt bist. Weil Du verwöhnt bist. Und weil 300 PS nur noch jemandem Begeisterung entlocken, der sein Leben lang Saugmotoren mit nicht mehr als 1,4 Litern Hubraum gefahren ist. Klingt abgehoben, ist aber leider: Fakt.

Selten hat mir ein Auto diese Problematik näher vor Augen geführt als der Golf R der aktuellen Generation. Auch ich musste nach allerhand dicken Dieseln mit Drehmoment sans fin, V8-Biturbo-Liebeleien und anderen hochgezüchteten Motorenwerken erkennen, in welche Watte man eigentlich von allen möglichen Herstellern dieser Welt gepackt wird. Wer im Golf R einmal vom Vertreter in dessen 530d Touring an der Autobahnauffahrt gnadenlos ausbeschleunigt wurde, wird nachvollziehen können, was ich meine.


Wer das darauffolgende Tief jedoch überwinden kann, wird anerkennen müssen, was für ein fantastisches Automobil Volkswagen hier tagtäglich an seine Kunden ausliefert. Es ist diese Perfektion in jeder Hinsicht, die den Golf R vor allem im tagtäglichen Gebrauch ausmacht. Das höchst ergonomische Cockpit (mit Ausnahme des Discover Media Pro-Systems). Die vorzügliche Verarbeitung. Das herrlich verschliffene DSG. Und der Zweiliter-Motor, der abliefert, was das Zeug hält. Und einem leise zuflüstern mag: „Ich vertrage noch viel mehr Leistung…“


Das Paket ist so rund und mag für jemanden, der Freude an Autos mit gewissen Ecken und Kanten hat, tatsächlich ein wenig zu perfekt sein. Denn natürlich hat der Golf R nichts davon verloren, was seine zivilen Brüder ohne Leistungs- und Namenszusatz ausmacht. Praktikabilität, Platzangebot, Abmessungen, Übersicht, Verbrauch und Langstreckenkomfort stehen auf der Habenseite. Alles ist dort, wo es der Fahrer erwartet und alles reagiert auch ebenso. Selbst der Abstandsregeltempomat ACC (390 Euro) regelt so feinfühlig und gut, dass man ihn sich in einer S-Klasse wünscht.

Kein Fehler ist es auch, den Golf R über die Land- und Passstraßen Europas zu scheuchen, was wir auf unserem zweiwöchigen Trip ausgiebig getan haben. Das Ergebnis könnten wir auch mit „wie erwartet“ umschreiben. Das Gripniveau der optionalen Michelin Pilot Sport Cup 2 ist so hoch, dass Kurvengeschwindigkeiten in der Liga von handfesten Sportwagen überhaupt kein Problem darstellen. Zumindest, so lange es trocken ist. Vergleichsweise gefahrlos kann man das ESP an der langen Leine halten und wer es darauf anlegt, kann ein leicht drängendes Heck als Resultat der fahrerischen Anstrengungen ernten.


Das macht: Freude pur, die vom Sound der optionalen Akrapovic-Abgasanlage unterstützt wird. Sofern man zuvor die richtigen Knöpfe gedrückt hat. Mindestens der Motor und dessen Sound müssen im Untermenü des Driving-Modes „Individual“ auf „Race“ programmiert (nach jedem Neustart) werden, damit die vierflutige Anlage sprotzelt, knallt und röhrt, was das Zeug hält. In den übrigen Modi hält sie sich ansonsten gepflegt im Hintergrund. Währenddessen flippert man mit dem Siebengang-DSG (mittlerweile alternativlos) durch die Zahnräder. Die Einflüsse des Allradantriebs registriert man nur im positiven Sinne. Lediglich beim scharfen Einlenken und hoher Geschwindigkeit wird das vergleichsweise hohe Gewicht auf der Vorderachse in einem leicht beherrschbaren Untersteuern deutlich.


Das kann letztlich das adaptive Fahrwerk DCC nicht zur Gänze retuschieren. Es verfügt zwar über eine bemerkenswerte Spreizung zwischen Komfort und einer gesunden Härte und macht aus dem Golf R vor allem auf der Langstrecke im „Comfort“-Modus ein überaus angenehmes, kommod federndes Fahrzeug. In „Race“ rollt der Golf R dagegen überaus trocken ab und neigt bei zügiger Kurvenfahrt auf schlechten Straßen zum leichten Versetzen, sodass es nur auf den topfebenen Bergstraßen der Eidgenossen eine Empfehlung darstellt. Ansonsten schien uns der „Comfort“ sowie der „Normal“-Modus als keine schlechte Wahl.

Für die Lenkung gibt es leider generell keine Empfehlung. Sie wird in „Race“ schlichtweg viel zu schwergängig, aber weder direkter noch präziser noch mitteilsamer. Doch auch in den anderen Modi fehlte uns das gewisse Etwas. Mit einem seichten Lenkgefühl ohne echte Rückmeldung, ohne besondere Direktheit, ist sie schlichtweg: Eine Lenkung. Das hyperaktive Tänzeln, das man von so manch anderen „sportlichen“ Autos kennt, kennt der Golf R dafür aber auch nicht. Selbst bei Tempi über 200 Stundenkilometern, in langgezogenen und schnellen Kurven oder auf schlechten Straßen lässt sich der stärkste Golf am langen Arm dirigieren.


Es ist zusammengefasst eine Perfektion, an die man sich gewöhnen könnte. Der man aber auch kleinste Schwächen nicht verzeiht. So fiel das einst so gelobte Discover Media Pro-System nicht nur mit dem fehlenden physischen Lautstärkeregler (ja, das ist mittlerweile bekannt), sondern auch mit einer etwas nervigen Menüführung ohne Direktwahltasten zum Umschalten negativ auf, sodass wir das kleinere System bevorzugen würden. Auch das mit Tasten überfrachtete Lenkrad zur Bedienung des optionalen digitalen Cockpits und des Tempomaten ist kein Musterbeispiel an Ergonomie, während Konzerntochter Audi zeigt, wie es auch einfacher gehen kann. Kritik auf hohem Niveau wäre es indes, den wenig farbenfrohen Innenraum zu beanstanden, der dem Konfigurator – im Gegensatz zur fantastischen Auswahl an Außenlackierungen – leider kaum zugänglich ist.


Und unser Fazit? Man braucht nicht mehr als einen 300 PS starken Golf mit Allradantrieb. Definitiv nicht. Der Golf R hat die richtige Größe für den alltäglichen Stadt- und Überlandverkehr. Die richtige Leistung, um überall ein wenig mitspielen zu können, selbst wenn er längst nicht mehr der schnellste ist. Er kann ein wenig Sound, er kann sehr viel Grip. Er kann Platz, er kann Verbrauch, er kann Komfort, er kann Sport. Eigentlich kann er alles. Vielleicht kommt die Emotion ein bisschen zu kurz. Aber da hilft vielleicht ein wenig Farbe.

Technische Daten*

Modell: Volkswagen Golf R
Motor: Vieerzylinder-Reihe, 1.984 ccm
Leistung: 300 PS (221 kW) zwischen 5.500 und 6.200 U/min
Drehmoment: 400 Nm zwischen 2.000 und 5.200 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe
Verbrauch (WLTP): 7,0 l S /100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,7 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,26 m/1,80 m/1,44 m
Gewicht: 1.505 Kg
Grundpreis: 45.745 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 15/25/25

*Herstellerangaben