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Das neue Design des Jaguar XJ hat heftige Diskussionen ausgelöst. Wird das Flaggschiff nun noch mit einem Selbstzünder kombiniert, ist das „No-Go“ perfekt. Oder? Wir haben dem 275 PS starken, und 5,12 Meter langen Edel-Diesel-Jag für Sie einmal auf den Zahn gefühlt. Mit überraschenden Ergebnissen.„Never change a running system“ (wenn’s gut läuft, dann verändere nichts), weiß schon eine englische Redewendung. Doch was, wenn das System eben nicht mehr gut läuft, stattdessen seiner Zeit hinterher hinkt, abgehängt und fast vergessen wurde? Hier hilft nur ein krasser Einschnitt. Mit kleinen Verbesserungen ist in so einem Fall jedenfalls kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Das sehen die Verantwortlichen bei Jaguar ebenso und haben den traditions-schweren XJ neu aufgelegt. Vorbei die barocken Zeiten, vorbei die Vier-Augen-Optik und auch mit jedweder Anlehnung an Vorgänger-Modelle. Stünde nicht das XJ-Kürzel am Heck, nichts würde an die kult-behafteten Vorfahren der 60er bis 2000er Jahre erinnern. Allein die edlen Abmessungen von 5,12 Meter und sein unverwechselbares Gesicht mit dem gewaltigen Maschendraht-Kühlergrill geben Aufschluss darüber, dass hier das Flaggschiff der britischen Traditionsmarke durch die Lande gleitet.
Wobei Gleiten genau die richtige Umschreibung ist. Selbst in der von uns getesteten Diesel-Version des XJ mit dem 275 PS leistenden V6-Selbstzünder unter der Haube, erzeugt der mindestens 76.900 Euro teure Jag ein erhabenes Gefühl von Überlegenheit bei seinem Piloten. Kein Wunder, immerhin zieht der dank Alu-Leichtbau nur 1,8 Tonnen schwere Brite wie am Gummiband in 6,4 Sekunden auf Tempo 100. Und wenn 80 Prozent der 600 Newtonmeter Drehmoment schon bei 1000 Umdrehungen anliegen, dann werden selbst steile Anstiege und Zwischensprints zur Nichtigkeit verdammt.
Doch nicht allein die bewundernswerte Kraft des Dreitilter-BiTurbo überzeugt. Auch die Perfektion, mit der das kernige Selbstzünder-Nageln abgekapselt wurde, begeistert. Wie es sich für solch eine Diesel-Reise-Limousine gehört, aber leider längst nicht selbstverständlich ist, dringt so gut wie keine Akustik-Äußerung in den Innenraum. Erst oberhalb von 3000 Umdrehungen wird der V6 vernehmbar, wird auch dann aber nie störend. Ebenso vorbildlich präsentiert sich das adaptive Dämpfersystem, das vielleicht nicht den letzten Rest Fahrbahnunebenheit wegbügelt, dem Jag dafür aber einen weiteren Schuss Dynamik und Sportlichkeit einschenkt.
Auch die Kombination aus drehmomentkräftigem Diesel-V6 und Sechsgang-Automatik harmoniert wie Tee und Gurken-Sandwichs. Selbst wer die Paddels hinterm Lenkrad nicht bemüht, ist stets im richtigen Gang, Runterschalten ist aufgrund des Drehmoment-Berges schlicht unnötig. Im Ergebnis stellt sich nicht nur erwähntes überlegenes Fahrgefühl ein, auch ein Verbrauch von durchschnittlich 7,0 Liter Diesel soll möglich sein. Das können wir nach unserer Ausfahrt zwar nicht ganz bestätigen, eine acht vor dem Komma ist aber selbst uns gelungen. Wer da noch einmal 0,2 Liter drauf packt, der hat den theoretischen Verbrauch der für rund 4000 Euro Aufpreis erhältlichen Langversion des neuen XJ – LWB oder LongWheelBase genannt. Der ist mit seiner geduckten, auf 5,24 Meter gestreckten Linie zwar noch einmal deutlich eleganter als der „kurze“ Jag, dürfte in Kombination mit dem kleinen Diesel aber auf keinem Weltmarkt eine nennenswerte Rolle spielen. Solch eine Nobelkarosse wird eher von einem der beiden Fünfliter-V8-Benziner mit 385 beziehungsweise 510 Kompressor-PS angetrieben.
Unbenommen von der gewählten Motorisierung, egal ob mit langem oder kurzem Radstand empfängt der neue XJ seine Passagiere im Innenraum mit jeder Menge Luxus. Die teils gewagten, aber frei wählbaren Farb- und Material-Kombinationen aus Leder, Holz, Alcantara, Carbon, sowie das sehr gute Raumgefühl und eine nahezu verschwenderisch guten Haptik machen den Jag zu etwas Besonderem. Die Mittelkonsole kreuzt das Fahrer-, Beifahrer-Gespann sehr hoch, das Armaturenbrett sitzt dafür schön tief. Alles in allem scheint das Cockpit seine Insassen zu umschließen, ohne sie einzuengen. Im Ergebnis können wir dem großen Engländer eine gewisse emotionale Sportlichkeit nicht absprechen. Allein die durch Abwesenheit glänzenden Haupt-Instrumente, die in ihrer Ganzheit durch einen LCD-Bildschirm ersetzt wurden, sowie die etwas billig anmutende Analog-Uhr zwischen den mittleren Lüftungsdüsen sind Geschmackssache und könnten einigen Jag-Fans störend aufstoßen.
Fazit: Über Geschmack lässt sich bekannter Maßen trefflich streiten, weshalb auf das Design des 2010er XJ hier nicht weiter eingegangen werden soll. Fest steht: Die Kombination aus 5,12 Meter langem Nobel-Jag und drehmomentstarkem, dabei aber nicht vernehmbarem Diesel passt wunderbar zusammen. Wer sich also mit einem Jag aus der Masse aus Siebener, S-Klasse und A8 herausheben möchte und für einen Maserati Quattroporte zu introvertiert ist, der wird mit dem neuen Nobel-Briten sicher glücklich. Auch ohne die deutlich teureren und durstigeren V8-Benziner.
Technische Daten:
Modell: Jaguar XJ 3.0 V6D
Motor: V6-BiTurbo-Diesel, 2993 ccm
Leistung: 275 PS
Drehmoment: 600 Newtometer
Antrieb: Hinterrad, Sechsgang-Automatik
Gewicht: 1796 kg (LWB: 1813 Kg)
Verbrauch: 7,0 L/100 Km (LWB: 7,2 L)
0-100 km/h: 6,4 sec.
Vmax: 250 km/h
Preis: ab 76.900 Euro