Als wir im vergangenen Jahr die Ehre hatten, den neuen Kia Stinger GT für eine kurze Momentaufnahme auf Mallorca zwischen die Finger zu kriegen, hat es uns gleich gepackt. Natürlich spielte Marketing eine wichtige Rolle, doch die Botschaft kam auch tatsächlich an: mit dem Stinger hat Kia einen echten GT gebaut, ein Auto für die lange Reise, für das genussvolle Fahren mit einem oder mehreren Beifahrern, schnell und komfortabel auf der Autobahn, zügig und sportlich auf der Landstraße und überaus schick für die Hotelauffahrt. Da war klar: ein Stinger muss noch einmal in die Garage. Und wenn’s geht, verbinden wir das gleich mit einem kleinen Roadtrip.
Wie geschaffen dafür bahnte sich in Zeiten der hochsommerlichen Temperaturen tatsächlich eine redaktionelle Reise in die Hauptstadt Belgiens an: Brüssel liegt mit rund 400 Kilometern für einen Wochenendtrip nicht allzu weit entfernt, die Route führte vorbei an Spa-Francorchamps und schien somit wie geschaffen für das Auto, das für Kia weit mehr ist als ein Konkurrent zu BMW 4er Gran Coupé oder Audi A5: es ist ein Aushängeschild. „Seht Ihr, wir können das auch!“, scheint der Stinger jedem zuzurufen und erregt vor allem in High Chroma Red (890 Euro) mehr positives Aufsehen, als so manchem vielleicht lieb sein könnte. Besagte deutsche Fabrikate gehen in ihrer selbstgeschaffenen Masse unter, der Stinger fällt auf. Weil er anders ist, weil er durchaus zu polarisieren weiß und dadurch eine unvergleichliche Coolness ausstrahlt. Man ertappt sich gerne dabei, wie man im Fahrmodus „Smart“ und der obligatorischen Sonnenbrille auf der Nase durch Deutschlands Mittelgebirge cruist, sich selbst in den verspiegelten Scheiben der Türme einer bekannten Bankenhauptstadt anschaut oder lässig vor dem Eiscafé in zweiter Reihe hält. Weil man es kann. Ein cooler Kia? Oh ja, jetzt gibt es ihn.
Die Fahrt nach Brüssel gestaltete sich dann den Erwartungen entsprechend. Deutsche Autobahnen mag der Stinger – besonders, wenn sie unlimitiert sind. Dann erhebt der 3,3 Liter große V6 dezent seine Stimme und treibt die rund zwei Tonnen (mit Beifahrer und Gepäck) schwere Limousine mit einiger Vehemenz nach vorn. Das geht bei Bedarf auf bis zu 270 Stundenkilometer, ohne dabei den Wunsch nach deutlich mehr Leistung aufkommen zu lassen. Es ist eine harmonische Motorisierung, die Kraft kommt genau richtig und ideal portioniert durch die Achtstufenautomatik, die im Comfort-Modus überaus früh hochschaltet, aber dennoch ausreichend spontan auf Gasbefehle reagiert. Auf Tempo 210 ist man überaus zügig, darüber geht dem Antrieb so langsam die Puste aus und wer es bis 270 schaffen will, braucht einen langen Atem und eine noch längere freie Strecke – aber: er lässt im Zweifel alle bei 250 abgeregelten Autos hinter sich. Und das ist auch ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man könnte, wenn man wollte.
Ab der niederländischen Staatsgrenze gilt bekanntermaßen ein Tempolimit, sodass wir uns gerne mit den Komfortfeatures beschäftigen, die der Stinger GT serienmäßig zum Preis von rund 55.000 Euro bietet. Klimaautomatik gilt ja weithin als Standard, klimatisierte Sitze hingegen sind schon seltener, die Soundanlage ist überaus druckvoll und die lederbezogenen Sitze warten mit einem weiten Verstellbereich auf. Das Platzangebot ist üppig und bietet selbst großgewachsenen Passagieren auf der zweiten Sitzreihe genügend Bein- und ausreichend Kopffreiheit. Der Federungskomfort ist ordentlich, wir würden uns sogar erdreisten zu behaupten, der Stinger federt kommoder als so manch vermeintlich sportlicher Mitbewerber. Das Prädikat „Reise-GT“ verdient er also und da haben wir noch nicht über den Verbrauch gesprochen: der lag bei häufigem Einsatz des Abstandstempomaten bei gut acht Litern, im Mittel brauchten wir 10,1 Liter, was für eine Limousine dieser Ausmaße mit Allradantrieb und 370 PS mehr als ein guter Wert ist. So legt man auch längere Strecken entspannt und ohne zu häufige Tankstopps zurück.
Im Land der doppelt frittierten Pommes und vorzüglichen Waffeln biegen wir vor unserer Ankunft am Ziel noch einmal kurz auf ein paar Landstraßen ab. Und hier zeigt sich einmal mehr die ausgewogene Fahrwerksabstimmung, die den Stinger zu einem echten GT macht: nicht nur komfortabel, sondern auch sportlich, wenn’s denn sein muss! Kurze Stöße werden zwar perfekt absorbiert aber trotzdem nicht so weggefiltert, dass der Fahrer vergisst, wie es um die Straße bestellt ist. Schnelle Kurven nimmt der Kia Stinger mit einem leichten Untersteuern, das man mit einem kräftigen Gasstoß aber zügig in einen Heckschwenk umwandeln kann, bis das ESP im Sport-Plus-Modus verspätet eingreift. Doch der Stinger fährt sich am besten, wenn man ihn nicht auf der letzten Rille bewegt. So lässt sich über den heckbetonten Allradantrieb und die spontane Gasannahme des großen V6 die Kraft herrlich präzise auf die Straße bringen. Die Lenkung spielt hier noch mit, wenngleich sie zum Fahrwerk in puncto Präzision leider etwas abfällt. Zwar mit ausreichender Direktheit ausgestattet, könnte sie deutlich mehr Rückmeldung vertragen. Doch das sehen wir bei der Konkurrenz ja nicht anders.
Die legt dafür die Messlatte im Innenraum bekanntermaßen sehr hoch und da müssen auch wir gestehen: an die Qualität von BMW hinsichtlich des Infotainmentsystems oder an die Materialgüte eines Audi reicht der Stinger nicht heran. Das Verwenden von Tasten anstelle eines oder mehrerer überdimensionaler Touchscreen(s) hat uns mehr als gut gefallen und entspricht Wunsch und Gedanken der Ingenieure, ein Auto und keinen rollenden Computer zu bewegen. Darstellung und Auflösung des verwendeten Bildschirms könnten allerdings hochwertiger sein. Gleiches gilt für Teile der Materialien, die zwar gut verarbeitet, aber leider ab und an sehr günstig wirken und sich auch so anfühlen, wenngleich sie sich meistens im nicht sichtbaren Bereich befinden. Man muss eben irgendwo gewisse Abstriche machen, wenn sich das auch so sehr im Preis widerspiegelt.
Fazit
In Brüssel angekommen, suchen wir vergeblich nach dem Haken – und finden ihn nicht. Wer Autos mag, wer Autofahren liebt und wer sich nicht ständig von Siri die neuesten Flugdaten vorlesen oder Bankentürme in 3D auf seinem Navibildschirm anzeigen lassen möchte, der findet im Stinger GT den perfekten Begleiter für jeden Tag. Er ist authentisch, fühlt sich nach echtem Auto an, ist unheimlich vielfältig einsetzbar, bietet trotzdem sämtliche Annehmlichkeiten, die man im Alltag womöglich braucht und das zu einem Preis, der sticht. Der Stinger ist cool, anders und deshalb liebenswert – mit sieben Jahren Garantie.
Modell: Kia Stinger GT 3.3 T-GDi AWD
Motor: Sechszylinder-V, Bi-Turbolader, 3.342 ccm
Leistung: 370 PS (276 kW) bei 6.000 U/min
Drehmoment: 510 Nm zwischen 1.300 und 4.500 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 10,6 l S /100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,9 s
Höchstgeschwindigkeit: 270 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,34 m/1,80 m/1,43 m
Gewicht: 1.504 Kg
Grundpreis: 55.900 Euro
Typklassen (KH/VK/TK): 16/27/26
*Herstellerangaben
Bilder: Kia Motors (1), Thomas Vogelhuber (Innenraum), Maximilian Planker