Eine Rallye auf Opel Corsa A. Die Vorfreude war groß, die alten Prospekte schnell aus den Archiven gegooglet. Und das Modelljahr 1983 – mithin das erste Produktionsjahr des damals bahnbrechende Opel Corsa A – hatte es in sich: 1.3 SR.
Der Traum aller Fahranfänger, Führerscheinneulinge oder auch Zweitwagenpendler. 155er Breitreifen auf 4,5 Zoll Felgen. Spoiler vorne und hinten, dazu dezent graue Folierung mit orangenem Kontraststreifen. Innen gab es Sportlenkrad, Drehzahlmesser, Voltmeter, Öldruckanzeige und sogar einen Zigarettenanzünder. Wow! Doch der echte Wahnsinn spielte unter der Haube. 70PS, verwaltet von einem 5-Gang-Getriebe und losgelassen auf weit unter 1000kg Leergewicht. Das speziell abgestimmte Fahrwerk und die Stabilisatoren an Vorder- wie Hinterachse kamen da gerade recht.
Der Corsa 1.3 SR war eine Bombe. Zumindest muss er das gewesen sein. Denn gefahren bin ich ihn nicht.
Stattdessen: luxuriöse 45PS. Dabei ist das Attribut nicht mal ein Scherz, sondern voller Ernst. Zumindest stand es so in stolzen Lettern auf der Flanke unseres knallroten Rallye-Fahrzeugs.
LUXUS.
„Über die Grundausstattung hinaus hat die Luxus-Ausstattung: Seitliche PVC-Schutzleisten. Graue Zierleisten an Tür- und Seitenwandfenstern. Umschäumtes 2-Speichen-Lenkrad. Farborientierte Luxus-Instrumententafel. Mittelkonsole mit Ablagefach. Make-up-Spiegel in Beifahrer-Sonnenblende. Quarzuhr. Luxus-Polsterstoffe. Farblich abgestimmter Vliesteppich vorn und hinten. Radkästen mit farblich abgestimmtem Vliesteppich verkleidet und Gepäckraumabdeckung mit farborientiertem Vliesteppich bezogen. Integrierte Armlehnen in den Seitenwänden. Zwei Haltegriffe mit Kleiderhaken hinten. Ascher in den Seitendenwänden. Zwei 3-Punkt-Automatik-Sicherheitsgurte hinten. 3-stufiges Gebläse und zwei zusätzliche Belüftungsdüsen seitlich in der Instrumententafel. Abblendbarer Sicherheits-Innenrückspiegel. Integrierter Außenspiegel von innen einstellbar, Fahrerseite. Intervallschaltung für Scheibenwischer, Intervallschaltung für Heckscheibenwischer. Stahlgürtelreifen 145 R13 74S.“
Wie bescheiden Luxus doch einst war. Zum Glück gab es damals noch kein Instagram. Man hätte ja gar nichts darzustellen gehabt. Oder vielleicht einen Boomerang aus der Intervallschaltung des Heckscheibenwischers gebastelt?
Die nächste Überraschung: unser Renn-Corsa war praktisch ein Neuwagen. Keine seelenlos auf Concours-Zustand hochrestaurierte Millionen-Hütte, sondern schlicht und ergreifend eine Zeitmaschine. Irgendwann 1983, nachdem vielleicht ein paar Journalisten und Kunden ihre Probefahrten absolviert hatten, in eine dunkle Ecke gestellt, abgedeckt und aufgehoben.
Der Lack, so sattrot wie ein Opel nur sattrot vom Band rollt. Der Sitzbezugstoff frei von Wellen, Abdrücken oder sonstigen Verfärbungen. Dazu die Zeiger der Instrumente: so verkehrsorange strahlt nicht mal der Fächer im RAL-Katalog. Auf der Unterseite der Hutablage klebt sogar noch der Produktionsaufkleber des Werks in Saragossa.
Tachostand: 6197 Kilometer und 100 Meter.
Wie also umgehen mit einer Maschine, deren Zustand unwiederbringlich ist? Zaghaft, vorausschauend, im Zweifel mehr tragen als fahren. Oder? Natürlich nicht. Doch das war nicht meine Antwort, sondern die der Maschine selbst. Denn zum Start hatten wir einen kurzen Moment für uns. Der Rallyetross war mit Startnummer-Verklebung, Uniform-Verteilung und Gebetsbuch-Studium beschäftigt.
Ohne den Choke auch nur zu berühren sprang der Vierzylinder ins Leben, auf die feinste Gaspedalbewegungen willig drehend antwortend und sofort in einen stabilen Leerlauf fallend.
Sofort war es da. Dieses Gefühl. Diese Vorfreude, diese Vorausahnung, dass nur Gutes geschehen kann, die Gewissheit, dass Vergaser einfach das Geilste sind.
Wie die perfekte Abstimmung zweier Messingdüsen im Einklang mit dem gurgelnden Unterdruck der Luftsäule hinter der Drosselklappe dieses mechanische Wunderwerk des Ottomotors so punktgenau am Fuß des Fahrers halten, dass du versucht bist zu Glauben dein Hirn sei das Motorsteuergerät – es macht sprachlos.
Modusgesteuerte Fahrpedal-Kennfelder, spaltoptimierte Drallklappen, variable Turbinengeometrien, piezogesteuerte Hochdruckinjektoren, Flexray-verbundene Supercomputer sind vor allem eins: überflüssig.
Überhaupt ist so vieles überflüssig heutzutage. Und was man vorher an Verzichtsängsten angesichts der kargen Ausstattung und des kleinen Motors hatte, ist spätestens nach dem Überrollen der Startrampe vergessen.
Denn der Corsa macht vor allem eins: Freude am Fahren.
Wenn Du nicht aus der Tiefe des Hubraumes schöpfen kannst, keine Drehmomentberge Dich aus engen Kurven rausreißen können, keine riesigen Bremsanlagen und aktiven Fahrwerke Deine Linie am Scheitelpunkt ausbalancieren – dann kommt es einzig auf Dich an.
Auf Dein Verständnis vom Autofahren, Dein Verständnis von der Maschine und der perfekten Kombination aus beidem. Wenn Du überall voll reinlangen musst, die Drosselklappe immer voll geöffnet ist und die Reifen in jeder Ecke vor Freude kreischen, dann ist das alles wirklich große große Freude.
Nie bist Du zu schnell, 45PS reichen auf der Landstraße praktisch nicht zum Führerscheinverlust, und doch bist Du immer am Limit. Und dort ist es eben am Schönsten. Dabei gilt zu bemerken, dass die Streckenwahl der ADAC Hessen-Thüringen Rallye auch in diesem Jahr wieder atemberaubend war. Technisch anspruchsvoll, wunderbare Topographie-Wechsel und kein Verkehr. Absolut kein Verkehr. Wo die meisten anderen Rallies gerne auch mal mit langweiligen Verbindungsetappen oder mäßig freudvollem Verlauf ärgern, war die 2019er Ausgabe der HTH mit Startpunkt Kassel wieder pure Fahrfreude.
Selbst die Gleichmäßigkeitsprüfungen waren nett und wenig hinterhältig. Deshalb hat unser Corsa dann auch gleich die Rallye gewonnen. Zumindest fast, denn offiziell notiert er auch weiterhin auf dem zweiten Rang. Allerdings ist der vermeintliche Gewinner nie im Ziel angekommen. Der rote Corsa hingegen hat sich bestens gelaunt auf dem Kasseler Stadtfest präsentiert. Dass unserem eingereichten Protest nicht stattgegeben wurde konnte der guten Laune allerdings keinen Abbruch tun.
Denn wir sind sicher: die Freude im Siegerfahrzeug, einem Porsche 911 targa aus der G-Serie, der nicht nur zwei geeichte Tripmaster, drei Stoppuhren und ein GPS-fähiges Tablet am Armaturenbrett montiert hatte, kann nicht so groß gewesen sein wie im Luxus-Corsa.
Der 45PS-Renner hat uns – mal wieder – vor allem eines gelernt: Es geht um das Erlebte. Und um nichts anderes.
P.S.: wir bedanken uns von Herzen bei der Mannschaft von Opel Classic, die uns nicht nur ihren 36 Jahre alten Neuwagen überlassen haben, sondern auch sonst das Herz am rechten Fleck haben und mit ihrem Spaß an der Freude für genau diesen Geist auf den Rallies sorgen, die ihren Reiz ausmachen.