[imagebrowser id=26 template=artikel]
Ihr kennt die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde!? Die Story vom netten, beherrschten Dr. Jekyll und seiner Verwandlung in den ungehobelten, aggressiven Mr. Hyde?! So in etwa verhält es sich beim neuen Porsche 911er. Ab 5. Juli 2008 steht die zweite Generation der 997-Baureihe beim Händler und verführt mit Vorzügen, die sowohl Jekyll als auch Hyde glücklich machen dürften. EVOCARS ist nach Weissach zum 911er-Workshop gekachelt, und hat sich im Anschluss den 911 Carrera-Anzug übergestreift und alle Phasen der Metamorphose von GUT zu BÖSE durchgemacht.
Gebannt schaue ich dem Porsche-Testfahrer auf die Hände. Draußen fliegt eine halsbrecherisch enge Teststrecke vorbei doch ich fixiere die Arbeit am Lenkrad. Ich werde nach links und rechts geschleudert und in die Gurte gedrückt – aber mein Blick bleibt am Volant. Kurz darauf kommen wir zum Stehen und ich bin überzeugt: Ja, dieser Höllenritt war ohne einen einzigen manuellen Schalteingriff über die Wippen am Lenkrad möglich. UNGLAUBLICH! „Ehrlich, ich würde sofort die PDK-Version nehmen“, erklärt der Fahrer. „Die schaltet derartig perfekt, da komm ich mit der Sechsgangbox nicht hinterher. Außerdem kann ich beide Hände am Lenkrad lassen und mich zu 100 Prozent auf die Strecke konzentrieren.“ Mein Einwand, dass das neu entwickelte Direktschaltgetriebe PDK den Fahrer doch bevormunden könnte, schmettert der Tester ab. „Im Sport Plus Modus dreht der Boxer bis zum Begrenzer hoch und bleibt solange im Gang, bis die Drehzahl auf 4500 fällt, dann kommt schon der niedrigere Gang. Also mal ehrlich, für die Landstraße ist das nix. Viel zu hart und ruppig. Da reicht der normale Sport Modus völlig aus.“
Ich verabschiede mich und gehe zur zweiten Station des Porsche-911er-Workshops. Als nächstes wird das neue 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe in allen Einzelheiten erklärt. Zwei radial angeordnete Nasskupplungen, ein Getriebe für die geraden und eins für die ungeraden Gänge, ein Hochleistungsprozessor, der am Limit arbeitet und den nächsten „logischen“ Gang berechnet. „Das PDK ist komfortabler als die bisherige Tiptronic S, gleichzeitig aber viel sportlicher“, erklärt Getriebe-Mann Morbitzer. Und und und …. Wahnsinn. Mit schwirrendem Kopf gehe ich rüber zur Motorenabteilung, wo der „komplett neue Motor“ steht. Benzindirekteinspritzung, geringere Bauhöhe, höhere PS-Ausbeute (Carrera: +20 PS, Carrera S: +45 PS), gesunkener Spritverbrauch, weniger Bauteile, Reduktion der trägen Masse, daher besseres Ansprechverhalten … Wenn ich nicht bald fahren darf, flipp ich aus. Doch Geduld, morgen ist es soweit.
Nach einem schnellen Frühstück umkreise ich den neuen 911 Carrera. 289 km/h (PDK: 287) Sachen soll er mit seinen 345 PS schaffen und mit dem PDK in 4,7 Sekunden auf 100 ballern. Hallo, das ist mal eben 0,3 Sekunden schneller als der Vorgänger und immer noch einen Wimpernschlag schneller als der „alte“ Carrera S (4,8 sek.). So kräftig die Unterschiede unterm Kleid, so dezent fallen die optischen Retuschen aus. Neue Hauptscheinwerfer, Tagfahrlicht, andere Außenspiegel, leicht veränderte Schürzen – fertig. Reicht ja auch.
Ich schwinge mich ins Cockpit und erwecke den 3,6-Liter-Boxer zum Leben. Gewohnt heiser hechelt er los und bewschwört mich, ihn doch endlich zu fordern. Das kann er haben. Zum Einfahren lassen wir den „Sport-Modus“ ausgeschaltet und genießen das extrem seidig schaltende PDK. Nur wer auf den Drehzahlmesser und die digitale Ganganzeige schaut, bemerkt die Gangwechsel. Schon bei 70 wird in den Siebten – den Overdrive – geschaltet und ich gleite mit knapp 1500 Umdrehungen dahin. Leicht aufs Gas und ein niederturiges Bollern verwöhnt das Ohr.
Langsam nähere ich mich der Autobahn. Jetzt kommt der Sport-Taster zum Einsatz und Mr. Hyde darf sich zum ersten Mal zeigen. Schon in der Kurve der Auffahrt komme ich mir verteufelt schnell vor, die Augen bleiben aber auf die Straße gerichtet. Auf dem Beschleunigungsstreifen berühren sich Pedal und Bodenblech. Knack, knack, knack – die fast ruppigen Gangwechsel lösen wahre Glücksgefühle aus. Nein, hier wird nicht komfortabel geschaltet. Jetzt gibt’s Fleisch für den Tiger. Ich quere die beiden rechten Spuren und kuschel ganz links ein wenig mit der Leitplanke. „Komisch, so ruhig liegt der Carrera jetzt auch wieder nicht.“ Da fällt mein Blick auf den Tacho. 265 steht da. In Addition mit dem schlechten Untergrund könnte das durchaus meinen Eindruck erklären. Angesichts des dichter werdenden Verkehrs will ich Porsche die 285 km/h Spitze mal glauben, verlasse den Sportmodus – was ein sofortiges Schalten in den Siebten zur Folge hat – und reise noch ein wenig mit 230 über die linke Spur.
Brav dem Porsche-Roadbook folgend, verlassen wir die A81 und befinden uns unversehens auf einer perfekt ausgewählten Landstraßestrecke – kurvenreich, menschenleer und über 100 Kilometer lang. Herrlich. Als erstes wird die Launch Control ausprobiert (nur in Kombination mit dem Sport Chrono Plus Paket: 1094,80 Euro). Sie hilft, den optimalen Start hinzulegen. Schritt 1: Sport Plus Taste drücken. Schritt 2: linken Fuß auf die Bremse. Schritt 3: rechten Fuß voll aufs Gaspedal (Kickdown). Schritt 4: bei ca. 6500 Umdrehungen den Fuß von der Bremse lösen, den rechten weiter voll durchreten und sich vom Druck in den Sitz pressen lassen. Die automatisch eingelegten Gänge knallen jetzt noch härter rein, der Hass auf das Landstraßenlimit wächst ins Unermessliche. Nach 4,7 Sekunden wars das mit der 100 (im zweiten Gang). Puh. Ja, das war jetzt Mr. Hyde. Wie er leibt und lebt. Jetzt zeigt er sein wahres Gesicht.
Wir lassen den „Sport Plus“ Modus weiter aktiviert und preschen durchs Gelände. Auch ohne ständig Gas zu geben, lässt das PDK die Fahrstufen eingelegt. 90 im Zweiten? Kein Problem, so lange, wie ich will. Erst am Begrenzer wird hochgeschaltet. Leicht vom Gas gegangen, schon wird zurückgeschaltet (bei 4500 U/min). ANSTRENGEND! Der Porschemann hatte Recht: „Für die Landstraße ist das nix.“ Im Sport Plus Modus wird Mr. Hyde vom Bösewicht ohne Manieren zum Monster ohne Hemmungen. Ich wechsle in den „normalen“ Sport Modus und nehme mir die nächsten 70 Kilometer vor.
Eines fällt immer mehr auf: Auch wenn das PDK seidig schaltet und Mutti bestimmt gerne mit dem neuen 911er zum Einkaufen fahren würde, das Fahrwerk ist für Rentner und Zahnarzt-Frauen sicher nichts. Hart und sportlich lässt es keinen Zweifel an der Beschaffenheit des Untergrundes, Stöße gelangen recht ungefiltert ins Innere und der Coffee-to-Go landet garantiert auf dem Blüschen. Aber was soll’s: Auch Dr. Jeckyl ist eben nicht perfekt, und für die Hatz über die Landstraße und den Wochenendausflug zum Ring ist das Fahrwerk optimal.
Nahezu perfekt ist auch das Cockpit. Leder wohin das Auge schaut, dicker Teppich im Fußraum und ein Lenkrad, das vortrefflich in der Hand liegt. Außerdem ist das Multimediadisplay jetzt nicht nur eine ganze Ecke größer, sondern auch mit Touchscreen ausgestattet. Wem’s wie mir bei heiklen Situationen etwas warm am Rücken wird, dem wird mittels der neuen Rückenlüftung im Sitz Abhilfe verschafft. Puh. Einziger Kritikpunkt: Das Plastik an Lenkrad und Schaltkulisse wirkt zu billig. Sattes Alu würde sich hier besser machen und den hochwertigen Eindruck noch verstärken.
Nachdem ich den Tank über die Hälfte geleert habe, zappe ich mich durch den Bordcomputer und suche die Verbrauchsanzeige. Einen Durchschnittsverbrauch von 9,8 Litern (mit PDK) gibt Porsche für das 345-PS-Coupé an. Wollen doch mal sehen, was am oberen Ende daraus wird … Zwei Stunden letzte Rille dürften wohl etwas mehr verlangen. Und tatsächlich: 20 Liter attestiert mir das Display. Nicht schlecht, ich hätte mit mehr gerechnet. Hier kommen wohl das geringe Gewicht (1445 kg), die kleine Stirnfläche von nur 2,01 Quadratmetern und die Benzindirekteinspritzung zum Tragen. Nimmt man jetzt noch den spritsparenden siebten Gang dazu, dürfte bei Landstraßenfahrten auf jeden Fall ein sieben vor dem Komma stehen. Nicht schlecht für einen Vollblutsportler.
Als Letzter gebe ich am frühen Nachmittag meinen C2 zurück. „Und?“, fragt mich der Mann beim Fuhrpark. „Weltklasse! Der fährt sich noch besser als der C2 S der letzten Generation. Aber mal ehrlich: die Felgen vom Turbo würden dem C2 um Längen besser stehen als die hier (siehe Fotos).“ Der Porsche-Mann schüttelt heftig den Kopf: „Neee, die sind zu protzig. Mir gefallen die, die drauf sind besser.“ Hm, so verschieden sind die Geschmäcker. Doch bei einem sind wir uns einig: Der neue 911er ist noch besser als der „alte“, macht noch mehr Spaß und ist mit 83.000 Euro nur knapp teurer. Bezüglich der Fahrleistungen kann sogar der letzte C2 S als Referenz herhalten (293 km/h, 4,8 sek.) – und der war mit 92.000 Euro deutlich teurer.
Nächsten Monat werden die Allradmodelle C4 und C4S (plus Cabrios) vorgestellt – auf einem Flugplatz! Wir können es kaum erwarten und werden für euch berichten…