Es ist ein beachtlicher Kilometerstand, der den Tacho des Audi RS6 ziert. 176.000 und ein paar Gequetschte, das ist ein Wort. Schon im Falle des Serien-V10 mit seinen 580 PS bedeutet das eine ungewöhnlich hohe Belastung für sämtliche Komponenten. Doch wir sitzen nicht in einem serienmäßigen RS6 V10 der Baureihe C6: wir sitzen im RS6 von Roland Mayer, dem Geschäftsführer von Motoren Technik Mayer. Der macht nicht nur optisch einen auf biestig, er ist es auch. Und zeigt auch nach über sieben Jahren hemmungslosem Demo-Einsatz, dass er noch immer nicht zum alten Eisen gehört.
Schon beim Einsteigen offenbart der RS6 – das einzige Modell, das mit einem Zehnzylinder-Biturbo gebaut wurde – seine Qualitäten. Es sind alte Audi-Qualitäten, die wir wieder entdecken und die wir bei aktuellen Modellen immer häufiger vermissen. Der RS6 C6 versprüht ein unerschütterliches Verarbeitungsniveau aus einer Zeit, in der Audi es sich noch nicht leisten konnte, ausschließlich kostenorientiert zu bauen. Die Klapptürgriffe wirken massiv, die Türen selbst fallen schwer ins Schloss. Sitze und Innenraum wirken auch nach Jahren mit zig verschiedenen Fahrern, die „einfach nur mal reintreten“ wollten, frisch wie bei einem Jahreswagen. Lediglich die auffällige Folie zeigt einige Einsatzspuren, doch die kann man ja austauschen. Es wird schon einen Grund haben, weshalb Mayer ausgerechnet diesen Wagen in seine Privatsammlung aufgenommen hat. Vielleicht liegt ein kleiner Teil darin, dass es von der RS6 V10 Limousine nicht sehr viele Exemplare gegeben hat. Man spricht von nur 772 je gebauten Autos.
Die Ehrfurcht vor einem Auto, die es braucht, um es respektvoll zu bewegen, ist also unzweifelhaft vorhanden, als wir das Fünfliter-Aggregat mit dem Zündschlüssel starten. Sie wird vom nebenliegenden Datenblatt nicht geringer: denn selbst wenn der von MTM getunte Zehnzylinder über die Jahre einiges an Leistung verloren haben sollte, dürften immer noch rund 750 PS anliegen. Gemessen wurde er zuletzt nach der Überarbeitung mit gut 820 PS, angegeben wird die Leistungssteigerung auf 811 PS. Zehn Zylinder also mit mehr als Leistung satt, Quattro, eine freie Landstraße vor uns und ein Sound, der durch Mark und Bein geht. Kann ein Tag schöner beginnen?
Spätestens als wir das rechte Pedal durchdrücken, die Wandlerautomatik butterweich zwei der sechs Gänge zurückschaltet, sich die Reifen nach alter Quattromanier in den Asphalt krallen und beide Passagiere in – wir nennen keine Zahlen – wenigen Sekunden auf Landstraßentempo katapultiert werden: da wissen wir, dass er nicht schöner beginnen kann. Der RS6 erledigt sämtliche Disziplinen mit einer derartigen Gelassenheit, als ob ihn das alles hier nur noch langweilen würde. Die Höchstgeschwindigkeit von Ü-350 probieren wir heute nicht aus, vielleicht liegt es daran: er muss nichts mehr beweisen, hat Rekorde erreicht, ist in Würde gealtert, aber noch lange kein altes Eisen. Und selbst als es auf eine enge Landstraßenkombination geht, vermittelt der Haudegen eine solche Portion Ruhe und dennoch unbändige Kraft, dass es eine wahre Freude ist. Die Lenkung präzise, das Fahrwerk satt und ausgewogen, der Antriebsstrang vermittelt schnell Vertrauen.
Da kommt man schnell in Versuchung, sich zurückzulehnen, die Fenster herunterzulassen und nur dem wohlklingenden Sound aus den vier Endrohren zu lauschen. Denn auch das kann er, der MTM Audi RS6: Cruisen. Die Recaro-Halbschalen sind gewohnt bequem, bieten tollen Seitenhalt, sind sich aber auch zum Lümmeln nicht zu schade. Das Fahrwerk ist so ausgewogen abgestimmt, dass es selbst den alltäglichen Weg über das Wettstettener-Kopfsteinpflaster schmerzfrei meistert. Oh ja, wir können nachvollziehen, dass man diesen Wagen so schnell nicht mehr abgeben möchte. Einzig das defekte Heckrollo sollten Sie demnächst mal reparieren, Herr Mayer. Dann ist der MTM RS6 V10 wieder perfekt.
Modell: MTM Audi RS6 Clubsport
Motor: Bi-Turbo Zehnzylinder-V-Motor, 4.991 ccm
Leistung: 811 PS (596 kW) bei 6.360 U/min
Drehmoment: 840 Nm zwischen 2.750 und 6.280 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Sechsgang-Automatik
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,6 s
Beschleunigung (0 – 200 Km/h): 11,0 s
Höchstgeschwindigkeit: 352,6 km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,93 m/1,89 m/1,46 m
Gewicht: 1.985 Kg
Grundpreis: 122.000 Euro
Gesamtpreis: 158.116 Euro
MTM Leistungssteigerung auf 811 PS: 33.200 Euro
MTM Federnsatz individuell einstellbar VA 10-40 / HA 15-45: 1.650 Euro
MTM Carbon Diffusor: 1.283 Euro
MTM Carbon Frontspoilerlippe: 1.241 Euro
MTM Clubsport-Design: 2.600 Euro
MTM Bimoto 20″ Felgen Forged: 7.790 Euro
MTM Überrollkäfig: 1.980 Euro
Recaro Pole Position Carbon Sitze: 5.430 Euro
MTM 6-Punkt-Gurte: 1.750 Euro