Pick-Up-Trucks genießen in Deutschland einen eher zweifelhaften Ruf. Aus Übersee importiert quälen sich nur wenige übergroße Dodge, Chevrolet oder Ford PKW-Pritschenwagen durch unseren dicht gedrängten Straßenverkehr. Überdies hält sich in den Köpfen der Menschen das Bild vom Umweltsünder. Big Block vorne, viel zu viel Ladefläche hinten – in Good Old Germany nicht gerade gern gesehen. Daher haben wir uns entschlossen den aktuellen Ford F-150 Raptor dort zu testen, wo er auch gefahren wird. Daheim in den Vereinigten Staaten. Genauer gesagt im Sunshine State Florida. Doch aufgemerkt: Einfach mal in die Staaten fliegen und sich dort einen Wagen mieten ist die eine Sache. Man sollte bedenken, dass man 1. in einigen Bundesstaaten zwingend einen internationalen Führerschein benötigt und 2. es zum Anmieten eines PKWs in so gut wie allen anderen Bundesstaaten nötig ist. Tragisch ist das freilich nicht, kann man doch z.B. bei der international automobile association ganz unkompliziert und schnell einen internationalen Führerschein beantragen.
Tampa – Ocala National Forest – St. Augustine
Ein Roadtrip durch die USA geht natürlich leichter vonstatten wenn man über ein adäquates Reisemobil verfügt. Als solches würden wir den Ford F-150 Raptor definitiv bezeichnen. Zwar ist man ohne Laderaumabdeckung gezwungen sein Gepäck hinter den Vordersitzen zu verstauen – es erstaunt uns allerdings wie viel Platz der Raptor bietet. Generell gilt, dass Fahrgäste die schnell unter Klaustrophobie leiden im F-150 keine Ängste verspüren werden. Der Beifahrer ist nur mittels langgestrecktem Arm zu erreichen, unter der Mittelarmlehne findet selbst ein mittelgroßer Einkauf Platz und die bequemen Sitze des Ford überzeugen auch auf Langstrecken.
Am Flughafen Tampa erlebten wir mit dem Raptor unsere erste Überraschung: Selbst in Pick-Up-Country überragt der Baja-150 so ziemlich alle anderen Gefährte. Audi Q7? Porsche Cayenne? Ford Expedition? Sehen aus wie Spielzeuge! Die schieren Abmessungen sind allerdings nur in manchen innerstädtischen Garagen ein Problem. Auf dem Highway und im Hinterland gibt es mehr als genug Platz für unseren großen Wagen. Einmal gestartet treibt der Raptor einem jeden Petrol Head das Grinsen ins Gesicht. Gestandene Männer werden wieder zu Kindern. Ja, der F-150 Raptor kann einen äußerst schnell in seinen Bann ziehen!
Auf den, vor Tampa vorgelagerten, Stränden von Fort De Soto, Sunset Beach oder Clearwater laden meilenweite Sandstrände zum verweilen ein. Vorausgesetzt man erträgt als Mitteleuropäer, so kurz nach der Landung, die schwülwarme Meeresluft am Golf von Mexico. Wer das nicht tut hat mit dem Raptor allerdings einen zuverlässigen Kühlschrank zur Hand. Ein Druck auf die Funkfernbedienung und der Motor lässt sich auch aus einigen Metern Entfernung starten und liefert bereits vor dem Einstieg in den Hochsitz einen erfrischend temperierten Innenraum – Umweltbedenken? Rücken bei 35 Grad im Schatten irgendwie in den Hintergrund.
Als Highlight an der Westküste Floridas gilt das Schwimmen mit Rundschwanzseekühen bzw. Manatees. Diese riesigen Meeressäuger lassen sich am besten um den kleinen Küstenort Crystal River, rund zwei Autofahrstunden nördlich von Tampa gelegen, erkunden. Wer sich allerdings lieber mit zwei oder vier Rädern abseits befestigter Straßen fortbewegen möchte, kommt in Florida nicht um einen Besuch des Ocala National Forest herum. Durch Hurrikan Irma leider nur beschränkt zugänglich mussten wir ein wenig suchen um unseren 450 PS starken Raptor artgerecht im Unterholz wühlen zu lassen. Ford verspricht mit dem Raptor eine bisher nur selten gekannte Offroadperformance bei einem Serienfahrzeug. Die massiven Fox-Stoßdämpfer bieten eine üppige Bodenfreiheit, der Allrad lässt sich nach Belieben zuschalten und sperren. Und der 3,5 Liter große EcoBoost V6, entliehen aus dem aktuellen Ford GT Supersportwagen, hat sowieso keine Mühen auf matschigen Pisten.
Und so war der Ausflug in den nordamerikanischen Urwald für unseren F-150 wohl auch nur eine Art Geplänkel. Schließlich wurde der Raptor für Sanddünenrennen im Baja-Stil konstruiert und nicht um deutsche Touristen durch ein paar metertiefe Matschlöcher und über ein paar querliegende Bäume zu kutschieren. Neben den mechanischen Voraussetzungen liefert Ford ab Werk dafür auch spezielle All-Terrain-Reifen die auf Sand und Matsch zwar sehr gute Dienste leisten, den groben Asphalt amerikanischer Straßen aber mit merklichen Komforteinbußen quittieren. Die Übersicht um das Fahrzeug behält man mit dem optionalen 360-Grad-Kamerasystem. Es ist gekoppelt an das SYNC Kommunikationssystem, welches wir auch aus deutschen Ford Modellen kennen und schätzen gelernt haben.
Ohne Wenn und Aber ein Highlight im Ford F-150 Raptor ist die neue 10-Gang-Automatik. In Drive stets um ein ökonomisches Schaltverhalten bemüht, hält der Wandler im Sportmodus immer den richtigen Fahrgang bereit um die knapp 700 Newtonmeter des EcoBoost-Motors nicht einschlafen zu lassen. Nur ab und zu benötigt die Automatik eine längere Sekunde um von Stufe zehn nach unten durchzuschalten. Die Harmonie die Motor und Getriebe erzeugen lassen den alten V8 kaum vermissen. Nur dessen brabbelnder Unterton kann kein V6 Motor ersetzen.
Auf den langen Autobahnkilometern nach St. Augustine ist ein V8 aber auch nicht zwingend nötig. Das lahmende Tempolimit in den USA tut sein Übriges damit auch der Sechszylinder immerzu im Drehzahlkeller verweilt und nur sehr selten die Nadel über die 2.000er-Marke erhebt. Die positive Quittung bekommt der Fahrer an der Tanksäule. 14-15 Liter „Regular Fuel“ konsumiert der große Ford auf unserer Tour. Gönnt man ihm mehr als 87 Oktan sinkt der Verbrauch weiter.
An Floridas Ostküste angekommen bietet St. Augustine, die älteste von Europäern gegründete und durchgehend besiedelte Stadt in den USA, eine gute Ausgangslage um die weiteren Tage in Richtung Key West zu planen. Ein Besuch der vielen Restaurants, Pubs und Kneipen ist lohnenswert. Ebenso wie ein Abstecher zum spanischen Fort und in die nahegelegene Outlet-Mall. Nein, den vielen angebotenen Geister-Touren durch die Altstadt muss man hingegen nicht beiwohnen. Hier gilt es eher Geld für den teuren Süden Floridas zu sparen. Miami und die Keys warten schon.
Daytona Beach – Orlando – Cape Canaveral – Miami
Wir machen uns auf, weiter Richtung Süden. Dem Raptor wollen wir ein paar sandige Meter auf dem Daytona Beach bescheren. Einem der letzten Strände in den USA wo es offiziell und legal möglich ist, mit einem Kraftwagen am Strand herumzufahren. Nur heute nicht. Das Wetter und das Meer spielen nicht mit, haben uns die Straße weggespült. Ein Foto vor einem der zahlreichen Zugangsbögen muss genügen. Ohnehin erscheint uns Daytona nicht sonderlich einladend. Die Bose-Anlage des F-150 muss den Trübsal weghämmern und mit zweifelndem Blick gen Himmel steuern wir Orlando an. Die Regensaison macht uns die Wahl der Aktivitäten im „Sunshine“ State sichtlich schwer. Ein Besuch auf einem der lokalen Schießstände ist daher unausweichlich. Mit Disney und Co. können Fahrer und Beifahrer nämlich herzlich wenig anfangen. Und seien wir einmal ehrlich: was passt denn besser zusammen als das Klischee des weiten Landes, der großen Pick-Up-Trucks und der nahezu überall erhältlichen Waffen. Doch wollen wir nicht in Details abschweifen.
Lieber schauen wir nach vorne und fahren weiter nach Cape Canaveral. Den NASA Weltraumbahnhof erreichen wir mit viel Ernüchterung. 10 Dollar parken für unseren großen F-150 Raptor wollen wir noch verstehen. 50 Dollar Eintritt pro Person (zuzüglich einer Gebühr für jede weitere Extra-Tour) für ein paar Raketen und eigentlich, so mag man als alter Europäer glauben, ein Stück amerikanische Geschichte ist uns dann aber doch zu viel des Guten. Wie gesagt: der teure Süden Floridas steht uns erst noch bevor. Wir beschließen weiter nach Miami zu fahren. Immerhin gut 340 Kilometer liegen vor uns und die Nacht bricht langsam herein. Die LED-Beleuchtung des F-150 leistet dabei hervorragende Dienste und lässt uns nicht im Dunklen stehen. Die amerikanische Straßenführung, insbesondere in Ballungsgebieten, hingegen ist mehr als einmal undurchsichtig.
Angekommen in einer der teuersten US-Städte merken wir schnell, wie unser F-150 Raptor aus der Rolle zu fallen scheint. Pick-Ups werden seltener, es dominieren deutsche Geländewagen von Mercedes. Die Sportwagen kommen aus Zuffenhausen und wer nicht nur schnell, sondern auch elegant unterwegs sein will, der fährt einen Audi. Bevor wir allerdings in unseren Ingolstädter Obenohneflitzer einsteigen, gibt es noch eine Ausfahrt nach Key Biscayne. Einen Sonnenuntergang hier zu erleben gehört auf jeden Fall auf die To-Do-Liste eines jeden Florida-Urlaubers. Ebenso wie das anschließende Miami Nachtpanorama bei der Rückfahrt.
Es ist Sonntagabend. Die Wehmut überkommt uns. Nicht weil wir unsere Reise bereits zur Hälfte durchlebt haben, sondern weil der Ford F-150 Raptor am Montagmorgen abgeholt wird. Ja, er ist groß. Ja, er würde nicht ins deutsche Straßenbild passen. Doch mit diesem Auto morgens den Berufsverkehr um Frankfurt unsicher machen – es wäre eine große Show! Und diese Show steht dem Ford F-150 Raptor. Er ist kein Blender. Kann das was er vorgibt zu sein: eine Urgewalt für unbefestigte Straßen und Meterhohe Sanddünen. Trotz enormer Leistungsreserven: ein Sportwagen wird der Raptor nicht. Gänzlich konnte man ihm seine Pick-Up-Gene nicht austreiben. Dafür ist er zu hochbeinig, zu schwer und starr. Als Langstrecken-Cruiser und Zugmaschine dient er aber allemal hervorragend. Wir sagen auf Wiedersehen Ford F-150 Raptor und hallo Audi A5 Cabriolet. Fortsetzung folgt…
Modell: Ford F-150 Raptor
Motor: Sechszylinder-V-Motor, 3.496 ccm
Leistung: 450 PS (331 kW)
Drehmoment: 691 Nm
Antrieb: Allradantrieb (zuschaltbar), 10-Gang-Automatik
Verbrauch (ECE): 13,1 l Super/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 5,1 s
Höchstgeschwindigkeit: 170 Km/h (abgeregelt)
Abmessungen (L/B/H): 5,88 m/2,19 m/1,99 m
Gewicht: 2.540 Kg
Grundpreis: ca. 47.000 Euro
Importpreis: ca. 99.000 Euro
*Herstellerangaben
Fotos: Lydia Sölva und Thomas Vogelhuber für Evocars