Cadillacs Angriff auf die deutsche Speerspitze des Automobilbaus, bestehend aus Audi A8, BMW 7er und Mercedes S-Klasse, begann eher leise und ging ohne großes Getöse vonstatten. Vom automobilen Nichtkenner eher unbemerkt, startete im vergangenen Herbst auch hierzulande die Vermarktung des neuen Cadillac CT6 Flaggschiffs. Eine Limousine die es endlich schaffen soll, den dominanten Platzhirschen im Oberklassesegment die Stirn zu bieten. Das wohl interessanteste daran ist die Art und Weise, wie die Amerikaner versuchen frischen Wind in den angestaubten Limousinen-Markt zu bringen. Auf dem Weg zum diesjährigen Auto Salon in Genf hatten wir viel Zeit den großen Wagen auf uns wirken zu lassen.
Zunächst einmal fällt uns auf, dass in der Aufpreisliste des CT6 ein V8 Motor fehlt. Zwar gibt es unter vorgehaltener Hand immer wieder Gerüchte, Cadillac könnte für den US-Markt einen 4,2-Liter Motor bringen – in Europa bleibt es aber wohl beim 3,0-Liter Twin Turbo V6 als Topmotorisierung. Aber was heißt da „wohl“? Bereits auf den ersten Autobahnmetern merken wir: der Motor steht äußerst gut im Futter. 417 PS und 555 Nm Drehmoment verteilt der CT6 auf alle vier Räder – die wir später im Test noch dringend nötig haben werden! Das Cadillac-Aggregat ist dabei ein Novum: der V6 ist der Erste seiner Art, der über eine doppelte Turboaufladung, nebst Start/Stopp-System und über eine Zylinderabschaltung verfügt.
So läuft der V6 im unteren Drehzahlbereich lediglich auf 4-Zylindern. Anders als beim Escalade, geschieht die Umschaltung beim CT6 aber nicht ganz so sauber. Als Fahrer merkt man die Umschaltung deutlich – gerade im langsamen Stadtverkehr und bei Kriechfahrten auf der Autobahn ein unschönes Fahrgefühl. Enorm hingegen ist die Antrittskraft des Motors. 100 Kilometer pro Stunde fallen nach gut 5,7 Sekunden. Danach geht es vehement weiter bis auf eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Km/h – hier setzt ohne Gnade der Begrenzer ein. Der Motor (und der ganze Wagen) schaffen aber weit mehr! Für eine amerikanische Limousine diesen Kalibers eine ganz neue Erfahrung.
Der Cadillac CT6 liefert auch bei höheren Geschwindigkeiten eine äußerst souveräne Vorstellung ab. Angstmomente bleiben aus. Dies liegt vor allem an dem – beim Escalade von uns noch bemängelten – Magnetfahrwerk. Bereits im Tour-Modus ist es angenehm straff abgestimmt, ohne dabei den Restkomfort zu vernachlässigen. Wechselt man hingegen in den Modus „Sport“, sieht die Welt schon etwas anders aus. Der CT6 wird zum bockharten Sportler im Maßanzug. Für unsere Verhältnisse vielleicht sogar etwas zu hart abgestimmt. Enttäuschend ist hingegen das Getriebe. Cadillac verbaut eine Hydra-Matic 8-Gang-Wandlerautomatik aus eigener GM-Produktion, die nicht so recht mit dem ungestümen Motor umzugehen weiß. Das hin- und hergeschalte im Automatikmodus bringt den Wagen aus der Ruhe – bei leichter Gaswegnahme wird bereits in den nächst höheren Gang geschaltet, um beim darauffolgenden Gasstoß wieder zwei Gänge runter zu schalten. Abhilfe schafft hier nur ein manueller Schalteingriff.
Angekommen in der Schweiz und einem generellen Tempolimit von 120 Km/h weiß der Wagen auf eine andere Art zu begeistern. Ein Spritverbrauch von unter 10,0 Litern auf 100 Kilometer ist für eine 5,2 Meter Oberklasselimousine mit über 400 PS kein schlechter Wert. Ebenfalls nicht schlecht: die Sitze des CT6. Sie bieten guten Seitenhalt, eine Vielzahl an Einstellungsmöglichkeiten und lassen sich – der Fahrzeugklasse angemessen – heizen, kühlen und massieren den Rücken. Einzig die etwas fummelige Bedienung der Sitzanlage könnte besser sein. So entspannt gleiten wir in unserer CT6 Limousine an Lausanne vorbei und lassen uns von der hervorragenden und optisch ansprechenden Bose Panaray Sourround-Anlage beschallen. Die Schweizer Radiosender sind zwar etwas gewöhnungsbedürftig, dafür sind die DAB+ Signale im gesamten Land durchwegs gut zu empfangen – in Deutschland gibt es diesbezüglich definitiv noch Nachholbedarf.
Auch die Passagiere auf der Rückbank haben es sich auf der Fahrt häuslich bequem eingerichtet. Zwar fehlt es hier und da an Beinfreiheit um mit vier Leuten wie im Businessjet zu reisen – die Ausstattung lässt aber kaum Wünsche übrig. Zwei ausfahrbare Monitore in den Kopfstützen der Vordersitze, die Möglichkeit Blue-Rays abzuspielen und die zuvor angesprochene Sitzmassage machen auch längere Trips im Auto zum Vergnügen. On top gibt es ein Paar Bluetooth Kopfhörer – ebenfalls von Bose Panaray.
Kritik muss sich weiterhin das CUE-Multimediasystem gefallen lassen. Die Bedienung mittels Touchscreen ist zu umständlich und lenkt stark vom Fahren ab. Das Touchpad, vor der Armauflage in der Mitte, erinnert mehr an das eines 90er Jahre Laptops und lässt sich ähnlich präzise Steuern – nämlich kaum. Zwar ist das CUE-System im CT6 bereits ein großer Schritt nach vorne und unterscheidet sich in Detaillösungen auch vom Escalade – an die Einfachheit deutscher Bediensysteme reicht es jedoch nicht heran. Gut gelöst: das volldigitale Kombiinstrument mit seiner extrem hochauflösenden und klaren Darstellung. Pluspunkt: anders als Audi, verzichtet Cadillac darauf, verschachtelte Untermenüs anzubieten. Die Auswahl der Informationen, die man sich anzeigen lassen kann, ist aufs Wesentliche konzentriert – eine Navigationskarte fehlt allerdings. Das Head Up Display ergänzt in gewohnt guter Qualität das virtuelle Cockpit, könnte von der Darstellung im CT6 aber etwas schärfer sein.
Hatten wir nicht erwähnt, wir würden noch einmal den 4×4 des CT6 benötigen? Nach Nyon erwischte es uns im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt! Unser Hotel, auf über 1.200 Metern und auf der französischen Seite des Jura Gebirges gelegen, hatte offensichtlich mit einem Meter Neuschnee zu kämpfen – ebenso der Cadillac! Zugegeben: wir waren blauäugig. Hätten wir doch bei der Abholung des Testwagens noch einmal nachgefragt, ob Winterreifen aufgezogen sind – haben wir natürlich nicht. Und so waren wir nun mit lauter französischen Sebastian Loebs in Citroen Picassos und 106er Peugeots auf der „Route de France“ samt vereister Fahrbahndecke zugange. Ja, der Allrad kann was. Nein, Pirelle P Zero sind auf schneebedeckten Pisten eine denkbar schlechte Wahl. Trotz aller Widrigkeiten und dank dem Einsatz des Schweizer Räumdienstes, gelang es uns dann aber doch den Pass zu erklimmen und damit auch das Hotel zu erreichen.
Am Morgen danach sahen die Straßen nicht wirklich besser aus. Wir quälten uns den Berg hinunter in Richtung Tal und Auto Salon. Auf halber Passhöhe dann endlich wieder Plustemperaturen und die Einsicht: noch einmal fahren wir nicht im März ohne Winterreifen in die Schweiz. Auf der Palexpo in Genf angekommen eine Überraschung: unser CT6 stand farb- und ausstattungsgleich am Messestand von Cadillac. So ins rechte Licht gerückt fällt uns erst auf, was die Amerikaner für ein außergewöhnliches Design auf die Räder gestellt haben. Die Proportionen – angefangen von den stehenden Scheinwerfern, über die festungsähnliche Seitenlinie, bis hin zu den vier Endrohren am Heck – wirken stimmig und räumen auf, mit dem Einheitsbrei hiesiger Hersteller.
Der Innenraum, in der Vergangenheit oft ein großer Kritikpunkt bei amerikanischen Autos – auch aus dem Hause Cadillac – kann großteils überzeugen. Viel Leder und Alcantara sorgen dafür, dass man sich wohl fühlt. Insbesondere die Lederziernähte am Armaturenbrett und am Lenkrad haben uns aber weniger gut gefallen und könnten hochwertiger ausgeführt sein. Das Lenkrad liegt gut in der Hand und auch abseits vom tagtäglichen Griffbereich ist alles sauber und knarzfrei verarbeitet.
Fazit
Mit seinem unkonventionellen und ansprechenden Design, einem starken Motor und seiner umfangreichen Serien-Ausstattung bringt Cadillac mit dem CT6 durchaus frischen Wind in die Welt der Oberklasselimousinen. Eine Welt, die mehr denn je, vom SUV bedroht zu sein scheint. Die große Ami-Limousine bedient weitestgehend alle europäischen Bedürfnisse an ein Auto dieser Fahrzeugklasse, schwächelt allerdings bei manchen Verarbeitungsdetails, wie etwa den Lederarbeiten. Vorbei sind allerdings die Zeiten, in denen man amerikanischen Autobauern einen zu ineffizienten Motorenbau vorwerfen konnte. Der 3,0-Liter V6 Twin Turbo ist ein Sahnemotor, der den direkten Vergleich mit deutschen Produkten – auch in Sachen Verbrauch – nicht zu scheuen braucht. Der CT6 gibt zugleich einen ersten Ausblick darauf, was wir in der Zukunft von General Motors – hierzulande dann ohne Opel – erwarten dürfen. Wer die, im Grundpreis 94.500 Euro teure, Platinum Ausstattung wählt, erhält enorm viel Auto für sein Geld. Ein regelrechter Kampfpreis, betrachtet man Ausstattungsdetails wie das 360-Grad-Kamerasystem, die Allradlenkung und den Wellness-Entertainment-Tempel im Fond, der Klein und Groß begeistern kann.
Modell: Cadillac CT6 3,0 TT V6 Platinum
Motor: Sechszylinder-V, 2.997 ccm
Leistung: 417 PS (307 kW) bei 5.700 U/min
Drehmoment: 555 Nm bei 2.500 – 5.100 U/min
Antrieb: Allradantrieb permanent, Achtstufen-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 9,6-9,8 l Super/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 5,7 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 Km/h (abgeregelt)
Abmessungen (L/B/H): 5,18 m/1,88 m/1,50 m
Gewicht: 1.975 Kg
Grundpreis: 94.500 Euro (CT6 Platinum)
*Herstellerangaben