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Elchtest Überland: Volvo S60 Cross Country D4 AWD

Fünf Zylinder in Reihe. Allradantrieb. Höhergelegte Karosserie. Unterfahrschutz. Und? An was erinnert das? Rallyeauto? Gruppe B? Audi Sport Quattro? Falsch. Es ist ein Volvo. Und was für einer. Einer der letzten echten, wagen wir zu behaupten. Weg mit den fremdelnden, schnöden Vierzylindern! Weg mit dem qualvoll untersteuernden Vorderradantrieb, der sich mit immer mehr elektronischen „Differentialsperren“ in unseren Alltag geschlichen hat. Her mit dem guten alten Fünfzylinder, der beim morgentlichen Kaltstart so herrlich ungefiltert losgrollt! Her mit dem Allradantrieb – okay, es ist „nur“ eine Haldexlösung.

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Das ist der neue S60 Cross Country. Als erster Hersteller geht Volvo den ungewöhnlichen Weg, auch eine Limousine der Mittelklasse im Offroad-Look anzubieten. Und ja, dieser Look ist gewöhnungsbedürftig. Nicht umsonst geht man bei den Schweden von einem Verkaufsanteil von allenfalls fünf Prozent innerhalb der gesamten 60er-Baureihe aus. Doch mit jedem Male des Draufzugehens erfreut das besondere Design mit netten Offroad-Details das Auge aufs Neue etwas mehr – nein, wir haben ihn uns nicht schöngetrunken. Wir meinen das wirklich so.

Ebenso überzeugend gibt sich das Interieur. Die Verarbeitung ist auf hohem Niveau, die Materialauswahl gefällt, die aufpreispflichtigen (300 Euro) Sportsitze sind spitze. Und wieder erfreuen kleine Details wie goldbraune Nähte auf den Lederapplikationen und der Rahmen der Mittelkonsole aus Vollaluminium. Das verbaute Infotainmentsystem (1.150 Euro inklusive Premium Sound) könnte etwas weniger „hinterm Mond“ agieren und seine Bedienung könnten die Entwickler auch mal aus der Wählscheibenzeit ins Jahr 2015 beamen. Abgesehen von der trotz großer Fensterflächen schlechten Übersichtlichkeit nach hinten (wir empfehlen die Rückfahrkamera für 480 Euro) gibt es wenig zu meckern.

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Moment mal. Drehen die bei evocars inzwischen völlig am Rad? Wo es früher nur hieß, dass die wichtigsten Merkmale eines Autos PS, Drehmoment und ständig qualmende Reifen sind, fahren sie nun Volvo-Diesel und empfehlen eine Rückfahrkamera? Und ja, vor dem Kapitel „Fahrdynamik“ hatten wir tatsächlich etwas Angst. Können wir einen höhergelegten Schwedenelch mit Automatik und Reifen, die heute getrost als Ballonreifen durchgehen, wirklich artgerecht bewegen? Oder gewinnt der Elchtest völlig neue Bedeutung? Wir wurden – mal wieder – positiv überrascht.

Schnippsen wir den Wählhebel der ansonsten so gelassen und verschliffen agierenden Sechsgangautomatik mal in die manuelle Gasse, stellen den inneren Schweinehund mangels verstellbarem Fahrwerk mal auf „Walter Röhrl“ – ähh, sorry, Stig Blomqvist – ein und geben dem 2,4-Liter die Sporen. Der traumhaft bullige Antritt untermalt vom zornigen Knurren des Fünfenders lassen vergessen, dass man diesen Motor eigentlich auch mit Heizöl fahren könnte. Schon ab 1.500 Umdrehungen liegen die vollen 420 Newtonmeter an, die dank Allradantrieb schonungslos in Vortrieb umgewandelt werden. Über knapp neun Sekunden auf 100 lacht zwar heute jeder zweite Polo-Fahrer, doch „gefühlt geht der deutlich besser“. Notierten alle Fahrer im Test-Tagebuch. Stoisch zieht der 1,7-Tonner seine Bahn und bringt seine Insassen komfortabel und bei Bedarf mit einer Armada von Assistenzsystemen (in Summe für 2.150 Euro) von A nach B. Letztere lassen sich glücklicherweise der Reihe nach abschalten – ohne, dass der Fahrer davon mit einer dauerhaften Warnleuchte informiert wird. Schaffen auch nicht alle Hersteller.

Und selbst kurvige Abschnitte mit Landstraßentempo machen Spaß im dicken Schweden: Das Untersteuern des Standardmodells mit Vorderradantrieb ist quasi nicht mehr existent. Der S60 lenkt sehr neutral ein, gibt gute Rückmeldung über die Lenkung, wirkt handlich ohne zappelig zu sein. Die Federung ist ausgewogen straff, zeigt sich von den sechs Zentimetern Höherlegung (insgesamt gut 20 Zentimeter Bodenfreiheit) vollkommen unbeeindruckt und bietet dennoch ordentlichen Komfort auf schlechten Straßen. Letzteres lag aber auch an den Ballonreifen. Die sehen zwar in den riesigen Radhäusern bescheiden aus, liefern aber deutlich mehr Federung als die optionalen 19-Zöller. Der brummige Motor bleibt akustisch stets präsent und man verzichtet glücklicherweise auf einen Soundsimulator: Das, was man hier hört, ist alles echt. Ausgerechnet der S60 in der Old-School-Variante mit Fünfzylinderdiesel hat also das Zeug zum spaßigsten Volvo überhaupt. Auch weil es nur ihn mit Allradantrieb gibt.

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Denn genau die Kennung „AWD“ am Heck macht es aus. Sie ist die Krönung des Cross Country, obwohl doch eigentlich selbstverständlich. Anders als die meisten Kollegen macht er nicht auf dicke Hose, er kann auch was im (leichten) Gelände. Wenn man denn will, werden auch grob geschotterte Steigungen und schlammige Waldwege zum kleinsten Hindernis auf der Urlaubsfahrt. Die meisten Kunden werden aber ohnehin nicht wollen. Doch nur wer für die Marke Volvo reif genug ist und den Fünfzylinder bestellt, erhält auch das Privileg des Allradantriebs. Der Rest guckt in die Vierzylinderröhre.

Dass bei Volvo mittlerweile dieser Rest eine weit größere Rolle spielt, zeigt schon der neue XC90. Der legendäre Diesel wird im neuen Modell gar nicht erst angeboten. Dieser S60 Cross Country könnte der letzte echte Volvo sein – irgendwann wird auch hier der Zahn der Zeit einen Zylinder wegrationalisieren. Man sollte sich einen sichern. Vielleicht geben wir dem Vierzylinder aber auch noch eine Chance. Irgendwann.

Technische Daten*

Modell: Volvo S60 Cross Country D4 AWD
Motor: Fünfzylinder Reihe, Bi-Turbo, 2.400 ccm
Leistung: 190 PS (140 kW) bei 4.000 U/min
Drehmoment: 420 Nm zwischen 1.500 und 3.000 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Sechsgangautomatik
Verbrauch (ECE): 5,7 l/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 8,8 s
Höchstgeschwindigkeit: 210 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,63 m/1,87 m/1,54 m
Gewicht: 1.776 Kg
Grundpreis: 48.440 Euro

*Herstellerangaben

Fotos: Felix Maurer für evocars