Im Gebrauchtwagen-Check: Audi S8 V10

Januar 2015 – wir sind auf der Suche nach automobiler Oberklasse für unter 30.000 Euro. Stark und schnell soll es sein, aber bitte stilvoll. Kurz geschaut bei den deutschen Herstellern, streng nach Alphabet macht Audi den Anfang. Da gibt’s den A8, doch etwas mehr Sport kann nicht schaden. Die Lösung heißt also: Audi S8 V10. Nach kurzer Datenanalyse ein wahrer Musterknabe. Einer, der sowohl im Trainingsanzug auf der Laufbahn als auch im Anzug auf dem Abendball eine gute Figur macht. So einer, der immer mit Manieren auftritt und nicht laut werden muss. Freunde hat er auch, hauptsächlich in Form hübscher kleiner Cabrios, Konkurrenten dagegen kaum. Die sind entweder zu sehr Macho (Mercedes S 63 AMG) oder können generell zu wenig (BMW 760).

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Stammbaum? Gibt es ebenfalls, auch wenn die Idee einer weitgehend kompromissfreien, auf Sportlichkeit getrimmten Oberklasselimousine erst 1997 im Jahr des ersten S8 auf Basis der D2-Baureihe (1994 – 2002) umgesetzt wurde. Vorerst serienmäßig mit Handschaltung ausgerüstet, ebnete die 340 (später 360) PS starke Alu-Limo den Weg, erfuhr aber aufgrund ihrer sonderbaren Ausrichtung als reines Fahrerauto (der erste 911er mit vier Türen war eigentlich nicht der Panamera) eher mittelprächtigen Beifall beim Publikum. Nach Erscheinen der Baureihe 4E im Jahr 2002 war deshalb auch wieder Sense mit dem S8, zumal der rundum neue A8 mit ähnlichen Fahrleistungen aufwarten konnte.

2006 war es dann soweit. Audi wagte sich an ein Experiment. Ein Zehnzylinder sollte der Sportlimousine erneut ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Ein Jahr zuvor hatte bereits BMW diesen Schritt im M5 E60 gewagt. Zudem war mit Lamborghini ein Hersteller von V10-Motoren im Portfolio der Ingolstädter vorhanden. Entgegen einiger Meinungen basiert der 5,2-Liter-V10, der sowohl im S8 als auch im S6 – später unter anderem im R8 und zwangsbeatmet im RS6 – verbaut wurde, dennoch nicht auf dem italienischen Fünfliter-Pendant. Stattdessen ist er eine Eigenentwicklung mit Benzin-Direkteinspritzung. Doch der Imagegewinn für den S8 – erzielt durch die V10-Nähe zu Lamborghini – ist auch heute nicht zu verhehlen: Einen „waschechten Sportmotor“ in einer Luxuslimousine gab es in dieser Form noch nie – und dürfte es auch in Zukunft nicht mehr geben. Deshalb gehört die zweite Ausbaustufe des S8 zu den begehrenswerten Gebrauchtwagen, die sich in gutem Zustand momentan zwischen 17.000 und 35.000 Euro bewegen.

Galerie (Pre-Facelift bis 2008)

Der von uns getestete Proband liegt mit Baujahr 2009 (Facelift ab 2008) und rund 100.000 Kilometern im oberen Bereich der Preisskala. Modelle vor dem Facelift und ohne besondere Ausstattungsmerkmale wie Lederpaket, verstellbare Einzelsitze hinten oder außergewöhnliche Farbkombination sind weniger gefragt, was sich im Preis bemerkbar macht. Vorfacelift-Modelle in gutem Zustand kratzen selten an der 25.000 Euro-Marke. Ein Streitpunkt hier wie dort ist die (optionale) Keramikbremse, die zwar vorzügliche Bremsleistungen bietet, im Austausch allerdings beinahe einen wirtschaftlichen Totalschaden verursacht – und das nicht nur am Auto, sondern zuweilen auch im Portmonée. Der Ersatz aller vier Bremsscheiben inklusive Beläge kostet rund 17.000 Euro. Ohne Arbeitszeit.

Apropos … ein Kostverächter ist der S8 V10 auch nicht. Weder bei den Wartungskosten, noch in Sachen Betriebsflüssigkeiten. Wer es drauf anlegt, die knapp zwei Tonnen in rund fünf Sekunden auf 100 Km/h katapultiert und die abgeregelten 250 Km/h regelmäßig auskostet, darf mit Verbräuchen um und über die 20 Liter-Marke pro 100 Kilometer rechnen. Der Musterknabe hat also mindestens ein leichtes Alkoholproblem. Zurückhaltend gefahren sind es 12 bis 15 Liter, doch will man das wirklich? Zurückhaltend fahren? Mit einem S8?

Dafür stimmt einfach zu viel an dieser Limousine: Aktive Sitzposition in ordentlich Seitenhalt bietenden und zigfach verstellbaren Sportsitzen, ein griffiges Lenkrad, perfekte Sicht auf die Rundinstrumente. Lenkung und adaptives Fahrwerk sprechen direkt an und bieten – gerade im Vergleich zum Vorgänger – deutlich mehr Restkomfort, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Vor allem durch seine direkte Gasannahme und den optimalen Grip der 20-Zöller macht der V10 auf Landstraßen beinahe mehr Spaß als auf der Autobahn – und das will bei einer Fünf-Meter-Limo etwas heißen. Gänzlich neutral durchfährt der S8 Kurven, katapultiert sich an deren Ausgang mit voller Wucht heraus und lässt die vielen Pfunde völlig vergessen. Subjektiv schlagen diese allenfalls auf der Autobahn wieder zu.

Denn auch wenn 450 PS und 520 Newtonmeter Drehmoment objektiv nach einem Auto aussehen, das die meisten seiner Konkurrenten auf der Autobahn pulverisiert, wird schnell klar, dass auch ein 5,2-Liter Zehnzylinder gegen die schreckliche Übermacht von downgesizeten Turbomotoren kein Land mehr sieht. Etwas angestrengt wirkt der Zehnzylinder trotz der schon ab 2.900 Umdrehungen anliegenden 90 Prozent seines Drehmoments, wenn man ihn in höhere Regionen wirft. Das kann die Münchener Konkurrenz im M5 besser, die zudem deutlich höhere Drehzahlen zulässt und ihre Drehmomentschwäche damit kompensieren kann. Immerhin verwöhnt auch der Audi-V10 mit einem einzigartigen Klang, der der vierflutigen Anlage zwar dezent, aber bestimmt entweicht. Die spontane Gasannahme und das vibrationsfreie Hochdrehen machen einfach Spaß. Die objektive Zeitenhatz wird letztendlich zur Nebensache.

Doch frei von Nachteilen ist – neben der leichten Super Plus-Sucht – auch ein S8 V10 nicht. So gibt es konzeptbedingte Nachteile der bereits vielgescholtenen FSI-Technik: Die Ventilverkokung ist nicht wegzudiskutieren. Eine beim Kauf vorsorgliche Inspektion per Endoskop und eine (falls nötig auch mechanische) Reinigung kann nicht schaden. Mit der Zeit lahmen auch so manche elektronischen Helferlein, zum Beispiel die automatische Heckklappe oder der Ausfahrmechanismus des Infotainment-Systems MMI. Ansonsten gilt die 4E-Baureihe von Audi generell als robust und ausgereift. Die verwendeten Materialien sind durchweg hochwertig und langlebig, die Alukarosserie handelt sich ebenfalls keinen Tadel ein, sofern sie nicht von unfachmännisch reparierten Unfallschäden heimgesucht wurde. Denn Reparaturen sind teuer, ein erstes (wenn auch nicht sicheres) Indiz können bei Modellen vor 2008 nachträglich angebaute Facelift-Stoßstangen sein.

Ein Musterknabe ist er also tatsächlich, dieser S8 V10, wenn auch eben nicht frei von leichten Schwächen. Doch ohne Schwächen wäre es auch ein Langweiler ohne Sexappeal. Das ist der S8 nicht, im Gegenteil. Mit seinem V10 wird er zum Relikt aus einer vergangenen Zeit. Aus einer Zeit, in der Autos noch ein klein bisschen verrückt sein durften und Audi tatsächlich einen Zehnzylinder in eine Luxuslimousine packte. Aus einer Zeit, in der auch Musterknaben noch Dreitagebärte tragen durften. Die kommen ja inzwischen wieder in Mode, beim S8 dürfte es noch ein wenig dauern. Bis dahin sollte man zugeschlagen haben.