Eis und Schnee wohin das Auge blickt und dazwischen ein paar aufblitzende Farbklekse in Miamiblau, Lavaorange und Racinggelb. Schnell ziehen diese vorüber, zeigen sich dem Betrachter nur kurz und verschwinden sogleich in einer weißen Wolke. Wir befinden uns auf dem Gelände der Porsche Ice Experience im finnischen Levi. Gut 170 Kilometer nördlich des Polarkreises bieten sich ideale Bedingungen um in diversen Porsche-Modellen das Quertreiben zu erlernen. Die Kunst also, die es uns erlaubt seitlich aus dem Fenster zu blicken, obwohl wir eigentlich immer noch der Wegstrecke folgen (sollten).
Von 1988 bis heute: 30 Jahre Allrad-Evolution
Wir haben zunächst in einem Porsche Carrera 4 GTS platzgenommen – allradgetrieben, 450 PS stark und mit Spike-Reifen bestückt bietet dieser Wagen die perfekte Ausgangslage, um sich an die vereisten Pistenverhältnisse im Norden Finnlands zu gewöhnen. An Traktion mangelt es dem GTS nicht, so viel ist sicher. 30 Jahre ist es nun her, als Porsche das erste Mal in einem Großserienfahrzeug den Allrad angeboten hat. Seither hat sich viel getan: Sorgte 1988 im 911 der Baureihe 964 noch ein Längsverteilergetriebe, welches als Planetengetriebe konstruiert wurde, für eine grundlegende Kraftverteilung im Verhältnis von 31 zu 69 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse, so verfügt unser 911 GTS mittlerweile über eine intelligente Allradlösung mit dem Namen PTM.
Das Porsche Traction Management (PTM) wurde erstmals beim Porsche Cayenne 2002 angewendet und sorgt seit 2006 auch für mehr Fahrstabilität in der Baureihe 911. Die nochmals überarbeitete aktuelle Generation des Porsche-Allrad ist als sogenannte „Hang-On-Lösung“ konzipiert und leitet im normalen Straßenbetrieb 100 Prozent der Antriebskraft an die Hinterachse. Erst im Bedarfsfall wird bis zu 50 Prozent der Motorleistung an die Vorderräder abgegeben.
Finnisch für Fortgeschrittene
Man kann davon ausgehen, dass dieser „Bedarfsfall“ im finnischen Levi definitiv ein Dauerzustand ist. Die vereiste Kreisbahn erfordert Fingerspitzengefühl und vor allem einen sanften Gasfuß. Den Allrad-Porsche querzustellen ist noch die leichteste Übung – den Drift gekonnt zu halten ist hingegen eine Herausforderung. Möglichst wenig lenken, mit dem Gaspedal arbeiten und den Blick immer dorthin fokussieren wo man auch hin will, ist die große Kunst. Wer diese Punkte beherzigt schafft schnell extreme Driftwinkel von bis zu 90 Grad und sieht alsbald nur noch recht wenig aus dem zugeschneiten Seitenfenster.
Auf dem Slalom-Parcours (mittlerweile sind wir in den normalen GTS ohne Allradantrieb umgestiegen) gilt es Geschwindigkeit und Handling miteinander zu vereinen – angebremst, quergestellt und gegengelenkt lässt es sich im Elfer herrlich tänzeln. Die Einführung auf Eis und Schnee gipfelt im „Skandinavian-Flick“, der im Idealfall nicht nur äußerst gekonnt aussehen sollte, sondern für ein schnelles Vorankommen in engen Haarnadeln sorgt. Der Porsche Carrera GTS entpuppt sich dabei als wahrer Schneemeister, lässt sich mit seiner präzisen Lenkung feinfühlig dirigieren und schaufelt sich mit 550 Newtonmetern Drehmoment auch mühelos durch die ein oder andere Schneewehe.
Spin Me Round: 718 Cayman S
Das Kontrastprogramm zu den schneesicheren Carrera GTS (mit und ohne Allrad) liefert Porsche in Form des 718 Cayman S – Mittelmotor, Heckantrieb und 350 PS verlangen nach blitzschnellen Reaktionen und einem furchtlosen Fahrer. Fahrfehler quittiert der Cayman sofort und so verwundert es nicht, dass öfters einmal die Warnung „Spin! Spin! Spin!“ durch die Funkgeräte hallt, als sich ein Kursteilnehmer querstellt. Nichtsdestotrotz ist der wendige Cayman S nach ein paar Eingewöhnungsrunden auch auf Schnee bestens zu kontrollieren. Naturgemäß reduziert sich der maximale Anstellwinkel in der Kurve von 90 Grad (Allrad) auf bis zu 45 Grad beim Hecktriebler – den Drift zu halten erfordert mehr Arbeit am Lenkrad. Dabei kommt dem 718 Cayman S allerdings zugute, dass er mit seinen lediglich 1.460 Kilo Leergewicht spürbar leichter ist, als ein Porsche 911.
Quertreiben für vier im Porsche Panamera
Apropos Gewicht: der Umstieg vom grazilen 718 in den geschäftigen Panamera turbo gleicht dem Wechsel vom Balletttanzen zum Sumōringen. Über zwei Tonnen Lebendgewicht, 550 PS und ein Drehmoment von 770 Newtonmeter zerren an den Nerven des Fahrers, sie lassen ihm aber zum Glück kaum mehr Zeit darüber nachzudenken, dass er im Ernstfall rund 200.000 Euro in der vereisten Pistenbegrenzung parkt. Uns verwundert dennoch, wie dynamisch sich der allradgetriebene V8-Panamera durch die Kurven lenken lässt – gutmütig, im Grenzbereich zunächst untersteuernd ausgelegt und jederzeit gut beherrschbar kann selbst der ambitionierte Familienvater seine Kleinen quer zur Schule befördern. Vorausgesetzt: er hat Platz für das lange Heck des Panamera und beim Grundkurs „Skandinavian-Flick“ gut aufgepasst. Das Porsche Traction Management arbeitet dabei ähnlich wie im Carrera GTS; verteilt die Antriebsmomente grundlegend variabel zwischen der Vorder- und Hinterachse. Festfahren in einem Porsche Panamera turbo? Unter normalen Umständen kaum möglich!
Königsdisziplin: 911 turbo S
Wir bleiben beim turbo, wechseln allerdings ein letztes Mal in einen 911 und hängen diesmal noch ein „S“ an den Namensschriftzug an. Wenn es eine Königsdisziplin bei der Porsche Ice Experience in Levi gibt, dann sicherlich einen Porsche 911 turbo S auf einer gut zwei Kilometer langen Handling-Strecke zu bändigen. Im Normalfall beschleunigt der Über-Elfer mit seinen 580 PS in gut 2,9 Sekunden auf Tempo 100 – und selbst auf Schnee gelingt der Standardsprint in einer ungeheuren Geschwindigkeit. Natürlich, auch beim turbo S ist serienmäßig ein Allrad an Bord und wir dürfen nicht vergessen, dass wir ebenfalls mit Spikes fahren. Doch die Vehemenz mit der dieser Porsche nach vorne stürmt, sich in Kurven millimetergenau positionieren lässt, sorgt für positive Fassungslosigkeit und pure Freude beim Fahrer.
30 Jahre Allrad bei Porsche und noch lange kein Ende. Die nächste Evolutionsstufe des Porsche Traction Management wird voraussichtlich im neuen Mission E zum Einsatz kommen. Dann sorgen vernetzte Elektromotoren an der Vorder- und Hinterachse für ein Mehr an Traktion, ohne dass diese noch mechanisch miteinander verbunden sein müssen. Bis es soweit ist bleibt es eine Glaubensfrage, ob man einen Porsche heck- oder allradgetrieben fahren möchte. Wir für unseren Teil können zum Abschluss nur jedem ans Herz legen, einmal nach Finnland zu Reisen und im Rahmen der Porsche Ice Experience selbst die Grenzbereiche beider Antriebswelten auszutesten – es lohnt sich!
Mehr Informationen zur Porsche Experience im finnischen Levi erhaltet Ihr hier:
Porsche Ice Experience
Bilder: Porsche (danke an Sebastian Kubatz)