In Rufweite der Mode – so lautete der Wahlspruch von Mercedes-Benz in den 70er Jahren, um geschönt auszudrücken, regelmäßig einige Jahre hinter welcher Mode auch immer herzuhängen. Das trifft irgendwie auch auf das GLE Coupé zu. Denn das erste zur Gattung der Riesenbabys zählende „Ding“ brachte BMW mit dem X6 schon vor einigen Jahren zur Welt und das GLE Coupé polarisiert mindestens wie der gechopte X5. Für die Einen Hassobjekt und Inbegriff des nutzlosen „SUV“, das Platz wegnimmt und Luft verpestet. Für die Anderen schlechthin das Fortbewegungsmittel des 21. Jahrhunderts – und wenn’s nur zur Grundschule und zurück nach Hause ist.
Der Autor dieser Zeilen verspürte bei jeder Neuvorstellung eines solchen Modells (es gibt ja mittlerweile auch BMW X4, Mercedes GLC Coupé etc.pp.) ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Da war die rationale Seite, die gegen diese unnützen Kisten anschrie und da war die emotionale, die zumindest für die großen Autos so etwas wie Faszination empfinden konnte. Faszination für das Unnahbare und Faszination für den Mut, einen solchen Saurier der Automobilwelt, den eigentlich nur noch ein G65 AMG übertreffen kann, auf die Straße zu bringen. Es half ja doch nix, man musste so ein Teil mal fahren.
Und dann stand es da, das „Coupé“ mit dem fetten Stern im Kühlergrill. Und der Faszinationsnerv sprang sofort drauf an. Es ist ja ohnehin schon alles überdimensioniert, doch die schiere Höhe wirkt durch die Coupéform viel extremer als beim ebenso hohen GLE ohne Coupé. Hinzu kommt im Falle unseres Testwagens das AMG-Optikpaket (zu 3.451 Euro) samt 315er-Reifen auf 21-Zoll-Felgen an der Hinterachse. Für sowas hätte vor zehn Jahren jeder Wörthersee-Teilnehmer seine Mutter verkauft.
Die Farbe (hyazinthrot, 1.475 Euro) macht die Chance auf einen unauffälligen Auftritt denn vollständig zunichte. Jeder guckt – der Vorteil ist nur: keiner kann Dich sehen. Denn erstens sitzt, nein thronst Du dermaßen weit drüber, dass Dir im GLE jeder Zweimetermann vorkommt wie eine Ameise. Und zweitens sind die Fensterflächen dermaßen klein, dass es eigentlich Kameras bräuchte, um raus- (und natürlich auch rein-) schauen zu können.
Eine Daimler AG macht keine Kompromisse. Dann gibt’s halt Kameras, in unserem Falle vier mehr oder weniger hochauflösende an der Zahl (im Park-Paket für 2.332 Euro), sodass man sich tatsächlich fragt, wofür sie noch Fensterscheiben eingebaut haben. Vielleicht hatte es optische Gründe. So können wir nach vorne, zur Seite, nach hinten, sogar von oben auf den GLE schauen und das hat schon wieder was. Thema Giraffenblick und so. Gut, bis man sich während der Fahrt mittels Dreh-Drücksteller durch die verschiedensten Kamerapositionen gewurschtelt hat, sind schon drei Rollatorfahrer zwischen den Achsen gelandet. Aber auch das hätte man gar nicht gemerkt, die Dämpferkennlinie in Comfort mildert sämtliche Unwegbarkeiten souverän ab.
Es ist – wie schon gesagt – eine Gratwanderung zwischen Ab- und Zuneigung beim GLE Coupé. Im Innern empfängt den Fahrer ein Mix aus Designo-Porzellan-Leder (AMG-Interieur zu 2.023 Euro), einem fein abgestickten Armaturenbrett und ebenso feiner, einstellbarer Ambientebeleuchtung sowie dem Gipfel der Dekadenz: einem beheiz- und kühlbaren Cupholder (knapp 250 Euro). Doch der etwas miefige Taxigeruch ist noch nicht verflogen. Die Klimaregler aus der verflossenen E-Klasse von vor zehn Jahren, der klotzige iPad-Verschnitt auf der Mittelkonsole und die grelle LED-Beleuchtung, die das Zeug zum Blenden hat, sobald man eine Tür aufmacht, mögen nicht ganz zum unantastbaren ersten Eindruck passen. Andererseits macht es ihn handfest – also ihn, den GLE.
Und dies befriedigt erneut die Faszinations-Komponente. Je länger man das GLE Coupé auf sich wirken lässt, desto mehr wird man von ihm eingenommen. Es ist das perfekte Auto für die lange Reise: Unantastbar, ausreichend (hust!) groß, sicher und mit dem entsprechenden, machteinflößenden Auftritt gesegnet. Da passt es, dass wir uns den 350er-Diesel herausgesucht haben, der die Einstiegsmotorisierung darstellt. Er leistet 258 PS und viel wichtiger, 620 Newtonmeter Drehmoment. Wenn man also mal irgendwo weg muss, dann kommt man weg und wenn man wohin muss, dann kommt man dahin. Dank 4Matic und aufpumpbarem Luftfahrwerk sogar in unwegbarem Gelände überraschend weit, da machen dann nur die Sportreifen (welch ironische Fügung bei einem 2,2 Tonnen-Schiff) einen Strich durch die Rechnung. Und das ausreichend schnell und ausreichend lange – dank 93 Liter Diesel im Tank und einem Verbrauch von knapp 10 Litern bis zu 1000 Kilometer weit.
Ebenso der Neungang-Automat, auch wenn der mit seiner lahmarschigen Einstellung „kommste heut nicht, kommste morgen“ keinen Blumentopf gewinnen kann – da hat es halt wieder etwas Benziges, etwas entschleunigendes. Welcher Gang gerade drin ist, ist nahezu egal, der Wandler und das erwähnte Drehmoment erledigen den Rest. Die Schaltwippen sind vollkommen unnütz, bis man beim passenden Gang angelangt ist, tritt man lieber den rechten Fuß durch. Dann geht auch was vorwärts.
Zumindest bis zur Autobahn-Richtgeschwindigkeit. Bei allem, was darüber liegt, wird es doch recht zäh, da nimmt das GLE Coupé seiner Konkurrenz nichts ab, wird aber von ihr auch nicht überholt. Aber die schnelle Fahrt liegt ihm nicht, oberhalb von 160 müht sich der 350er stets ab, die Automatik versucht verzweifelt ihre Gänge zu sortieren und der Spurhalteassistent kämpft gegen die Seitenwinde an, während die Breitreifen nach Spurrillen schnüffeln.
Apropos Assistent: dank Abstandsregeltempomat und den übrigen Helferlein fährt der GLE beinahe von alleine. Wer sich darauf einlassen kann, findet das perfekt, auch wenn der Computer naturgemäß noch ein wenig ruppig und sehr sicherheitsorientiert agiert. Vorausfahrende Fahrzeuge werden sehr früh als solche erkannt und die Geschwindigkeit angepasst und je nach Straßen- und Witterungsverhältnissen läuft die Lenkkorrektur etwas grob ab, funktionierte dafür sogar in Baustellen. Sehr hilfreich bei einem derartigen Dickschiff. Wir von evocars sind dennoch nicht die Zielgruppe von autonom fahrenden Autos. Die Computer sind uns einfach noch zu doof, aber das hat nichts mit dem GLE zu tun. Das zieht sich durch alle Hersteller.
Was sich nicht durch alle Hersteller zieht, ist die unvergleichliche Coolness des GLE Coupés im Alltagsbetrieb. Da kommt kein X6, kein Q7 und erst recht kein Touareg mit. Es ist kein sinnvolles Auto, die Form erlaubt keinen ausreichend hohen Kofferraum, die Ladekante ist ätzend hoch, die Übersichtlichkeit und die Abmessungen ohne Kameras ein Graus, die Fahrleistungen eher bescheiden, wenn auch immerhin mit einem ordentlichen Verbrauch gesegnet. Aber dennoch – und das hätten wir vor diesem Test nie gedacht, dass wir das mal sagen würden: Als automobiler Saurier für den Alltagsbetrieb können wir ihn uns verdammt nochmal gut vorstellen. Er ist groß (ja!), sehr komfortabel und luxuriös ausgestattet, die Platzverhältnisse sind abgesehen vom Kofferraum absolut ausreichend und die Optik ist dann doch irgendwie – cool halt. Da ist uns auch mal vollkommen egal, wie weit die Mode nun tatsächlich weg ist.
Modell: Mercedes-Benz GLE 350d 4Matic Coupé
Motor: Sechszylinder-V, Biturbo, 2.987 ccm
Leistung: 258 PS (190 kW) bei 3.400 U/min
Drehmoment: 620 Nm bei 1.600 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Neungang-Automatikgetriebe
Verbrauch (ECE): 7,2 l Diesel/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 7,0 s
Höchstgeschwindigkeit: 226 Km/h
Abmessungen (L/B/H): 4,90 m/2,00 m/1,70 m
Gewicht: 2.250 Kg
Grundpreis: 67.294 Euro
Typklassen (HP/VK/TK): 22/27/29
*Herstellerangaben
Fotos: Felix Maurer für evocars