Pferdeflüsterer: Mercedes E 63 S AMG T-Modell im Fahrbericht

Reichen zwei Wochen AMG-Achtzylinder aus, um auch das rationalste Gemüt vollständig zu versauen? Ja: Es sind nur 500 Meter zum nächsten Supermarkt? Fährste trotzdem, geht mit 585 PS einfach schneller. In der Kurhaus-Tiefgarage zur Hauptbesuchszeit ein wenig mit dem Gas spielen? Na, V8 halt. Fürs grüne Gewissen sorgt schließlich der ebenso grüne Eco-Taster. Zwar laufen trotzdem immer mindestens rund 14 Liter durch die Brennräume des Fünfeinhalbliters (nur auf unserer humorlosen Eco-Tour erreichten wir wahrhaft respektable 8,6 Liter auf 100 Kilometer), aber was er braucht, muss er haben. Ist einfach so. Dass nach 470 Kilometern „normaler“ Fahrt die Reserveleuchte angeht, tust Du spätestens nach dem zweiten Mal nur noch mit Schulterzucken ab. Leider geil.

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Die vernünftige der beiden Gehirnhälften schreit gegen den AMG mit der Zeit immer leiser an. Wer braucht denn schon über 580 PS in einem Kombi? Das sind mehr als in einem Ferrari 458 Italia. Die Leistung kann man eh nirgendwo nutzen. Kaputte Autobahnen und Tempolimits und so. Überhaupt muss ein Kombi praktisch, aber doch nicht schnell sein. Ja ja. Eigentlich schon. Spätestens wenn Dir 800 Newtonmeter und 585 PS mit – dank Allradantrieb – allen vier 19-Zöllern gleichzeitig in den Allerwertesten treten, sind diese ach so rationalen Gedanken so schnell vergessen wie die an Vertreterkombis mit Vierzylinder-Dieseln. Auch wenn diese Leistung fast so unscheinbar verpackt ist und nur die Schriftzüge an Heck und Seite die annähernde Potenz dieses Kombis verraten.

Die Rede ist vom E 63 S AMG. Als T-Modell und mit Allradantrieb (Serie beim „S“). Eine eierlegende Wollmilchsau, wie sie es sonst kaum ein zweites Mal gibt. Denn seitdem Mercedes-AMG auf den Zug aufgesprungen ist, vier angetriebene Räder in den übrigen Modellen abseits von G, GL und R-Klasse vermehrt anzubieten, lässt sich die Leistung der neuen Biturbomotoren auch auf die Straße bringen. In Kombination mit der Topmotorisierung schlenzt sich der Kombi in 3,7 Sekunden auf 100. Richtig gelesen: Dreikommasieben. Für 200 braucht der Zweitonner übrigens nur weitere acht Sekunden.

Rein subjektiv bestätigt der E 63 bei jeder Beschleunigungssequenz die bei allem Downsizing immer noch geltende Stammtischweisheit: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum. Denn so bärig und gleichmäßig unten raus beschleunigen kleinere Kaliber mit ähnlicher Leistung nicht. Auch deshalb ist es überraschend häufig der Fahrer selbst, der auf die vernünftigere der beiden Gehirnhälften hört: Die Eco-Taste drückt und das Gaspedal nur streichelt – mit 120 im siebten Gang die so derart vernachlässigte rechte Spur der Autobahn benutzt. Klingt bescheuert bei einem 585 PS V8? Nicht doch – das Warten auf Gegner macht immer noch am meisten Spaß…

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Aber so schnell kommt da eh keiner – und im Fahrprogramm „C“ wie Comfort lässt sich die Gelassenheit der Leistung am schönsten auskosten. Hier hält der Automat, der keine Wandler-, sondern eine nasslaufende Anfahrkupplung besitzt, die Gänge verhältnismäßig lange hoch und spielt mit dem beträchtlichen Drehmoment, das quasi ab Leerlaufdrehzahl anliegt. Nur bei nachdrücklichem Befehl werden zumeist gleich mehrere Gänge zurückgeschaltet. So brüllt der E 63 nur, wenn er soll. Irgendwie schön. Im Zweifel können auch die beiden Schaltpaddles benutzt werden. Leider wurde dem System die bereits häufiger bemängelte „Gedenksekunde“ zur Umsetzung des Schaltbefehls immer noch nicht gänzlich ausgetrieben. Beschleunigung gibt es aber eh immer. Mal mehr und mal sehr viel mehr.

Das schöne am E 63 S AMG ist, dass sich der Fahr- und Beschleunigungsspaß nicht nur auf die Autobahn beschränkt. Denn die Art und Weise, wie dieser Powerkombi um die Ecke geht, ist das eigentlich Beeindruckende. Die ohnehin straff ausgelegte Airmatic könnte für uns immer im mittleren Sport-Modus verbleiben. Während sie uns in der Comfort-Stellung in schnell gefahrenen Kurven etwas zu unpräzise und weich vorkam, ist die Sport + Position zu hart und unkomfortabel. Dank Sperrdifferential an der Hinterachse und zusätzlichem Bremseingriff bleibt die befürchtete Kopflastigkeit fast völlig aus – das Ergebnis ist sogar ein leicht eindrehendes Heck und über weite Strecken faszinierende Neutralität. Der Allradantrieb verteilt die Leistung zu 67 Prozent nach hinten, was dem E 63 S eine beinahe hecktrieblerähnliche Fahrdynamik beschert. Nur eben ohne rauchende Hinterreifen.

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Rauchende Bremsen dürfte es weiterhin auch nicht geben, solange man 8.271 Euro für die Carbon-Keramik-Bremsanlage investiert. Deren Bremsleistung ist über jeden Zweifel erhaben, die Dosierbarkeit für sich genommen schlicht perfekt. Bei einem 300 km/h (mit Performance Package) schnellen Zweitonner eine teure, aber überlegenswerte Sonderausstattung.

Ja, so gesehen, ist der E 63 S AMG ein richtig tolles Auto. Aber auch eines, das die Realität für 121.380 Euro fast vollständig vergessen lässt. Inzwischen laufen wir wieder die 500 Meter zum Supermarkt, Bewegung ist ja gesund. Und mit dem Gas spielen gehört sich ja auch nicht. Aber wenn wir einmal träumen dürften, hätten wir gerne ein E 63 S T-Modell in Taxibeige, dem E 220 CDI Schriftzug am Heck und das Business-Paket ohne Sportauspuff. Damit die vernünftige der beiden Gehirnhälften zumindest fürs Erste die Klappe hält.

Technische Daten*

Modell: Mercedes E 63 S AMG T-Modell
Motor: V8, Biturbo-Aufladung, 5491 ccm
Leistung: 585 PS (430 kW) bei 5.500 U/min
Drehmoment: 800 Nm zwischen 1.750 und 5.000 U/min
Antrieb: Allradantrieb, Siebengang AMG Speedshift MCT
Verbrauch (ECE): 10,7 l/100 Km
Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,7 s
Höchstgeschwindigkeit (abgeregelt): 250 Km/h, 300 Km/h mit Performance Package
Abmessungen (l/b/h): 4,90 m/1,87 m/1,52 m
Gewicht: 2045 Kg
Grundpreis: 121.380 Euro

*Herstellerangaben

Fotos: mag7 media für evocars